Freitag, 31.8.2018: Was macht Karlsruhe so besonders?

Karlsruhe: Blick von der Bahnhofstraße in den Japanischen Garten

Den Karlsruhe Schlosslichtspielen ist es zu verdanken, dass meine Familie und ich zum ersten Mal seit langem wieder gemeinsam ins Badische fahren, mit dem Intercity diesmal. Sobald wir den Bahnhofsvorplatz überquert haben, um zur Jugendherberge zu laufen, wird alles anders, als wir es von einer Stadt mit gut 300.000 Einwohnern erwarten: Während die Stuttgarter Königstraße zum Beispiel eine belebte, gesichtslose Fußgängerzone mit Neubauten und einem Filialisten neben dem anderen ist, schmiegt sich die Karlsruhe Bahnhofstraße baumbeschattet an den Zoologischen Stadtgarten: Da gibt es zunächst einmal den Schwanensee, auf dem Boote entlangziehen, dann den Heckengarten und schließlich den Japangarten, während linkerhand ein Buddhismus-Zentrum und ruhige Wohnhäuser locken. Autos gibt es kaum, dafür jede Menge Fahrräder – Karlsruhe ist eine junge Stadt, nicht nur geschichtlich, sondern auch dank der heute hier Lebenden, eine Stadt der Studenten und der Kreativen. Das merken wir auch an den Geschäften und Cafés. Und: Es gibt noch weit mehr alte Häuser als in Stuttgart, wo man nach dem Krieg alles im Stil der 50er Jahre neubaute und vor allem: autogerecht wieder aufbaute, während die Karlsruher ihre Straßen fahrradgerecht gestaltet haben. Und tramgerecht, was gegenüber unserer Stuttgarter U-Bahn sehr nostalgisch wirkt.

Karlsruhe Nymphengarten

Nachdem wir uns in einem Familienzimmer der Jugendherberge im Norden der Innenstadt wohnlich eingerichtet haben, gehen wir zurück gen Süden zur Kriegsstraße, durch den Nymphenpark hindurch, denn hier soll es ein gutes Restaurant geben: „My Heart Beats Vegan“. Das tut es auch, nur hätten wir an einem Freitag um 18.30 Uhr besser reservieren sollen – das wirklich große Lokal ist komplett ausgebucht! Wir sind sehr enttäuscht, zumal das Essen auf den Tellern wirklich lecker aussieht.

Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als über die Kreuzstraße gen Schloss zu laufen und zu gucken, was sich links und rechts so bietet. Am Marktplatz entdecken wir eine Filiale der Edelburger-Kette „Hans im Glück“ und kehren ein. Auch dieses Lokal ist sehr groß (gehen die Badener lieber aus als die Schwaben?), und wie üblich ist die Partymusik zu laut, aber es gibt Platz für uns, und so esse ich einen veganen Burger (nicht den, den ich bestellt habe, aber immerhin) mit Salat und trinke einen leckeren Durstlöscher Erdbeer-Basilikum. Das Lokal schaut exakt so aus wie seine Zwillingsbrüder in Wuppertal und Stuttgart und versetzt einen nicht nur in die Atmosphäre des Märchens, sondern auch in die eines Birkenwaldes. Natürlich haben wir uns von Karlsruhe etwas Abenteuerlicheres erwartet, aber wir wollen den Beginn der vierten Schlosslichtspiele nicht durch noch längere Restaurantsuche verpassen.

Vom Marktplatz aus können wir schon das Schloss sehen, und trotz des Nieselregens sind bereits viele Leute dort. Wir schaffen es jedoch, Holzklappstühle in der ersten Reihe zu ergattern. Der Eintritt ist frei, aber um Spenden wird gebeten, und so kaufen wir für Tochter Lenja ein orangenes 5€-Armband in Signalfarbe.

Schlosslichtspiele: Jesper Wachtmeisters „Reflections“

Was uns dann ab 20.30 Uhr erwartet, ist wahrhaft magisch. Auf die Fassade des Schlosses werden 3D-Lasershows projiziert, die zuweilen große Kunst sind und mir immer wieder Lachen und erstaunte Ausrufe entlocken. Da schwimmen Papierfische durch das Meer, Riesen laufen herum, die Fassade wird so lange gewaschen und überschwemmt, bis das Gebäude in sich zusammenbricht, und wir tauchen ein in neue, ganz fremde, wunderbare Welten. Am besten gefallen mir die

  • Reflections“ von Jesper Wachtmeister und der Solaris Filmproduktion aus Schweden (https://vimeo.com/136217210): Ein neuer Tag beginnt im Karlsruher Schlosspark, der Markgraf fährt in einer Kutsche vor, doch wie in einem Karussell beschleunigt sich seine Fahrt und entfesselt eine wahrhaft berauschende Bilderflut –
  • sowie „Cleansing“ von Eyal Gever aus Israel (http://www.eyalgever.com/cleansing/), dessen „#Laugh“ sogar dank der NASA im Weltraum produziert wird, mithilfe eines 3D-Druckers, der auch in der Schwerelosigkeit funktioniert.

Die Lichtspiele laufen in diesem Jahr noch bis zum 9. September. Leider schwächeln Mann und Tochter, und so machen wir uns schon kurz nach 22 Uhr auf den Heimweg, während die Show noch anderthalb Stunden weitergeht. Ja, wegen der Zugfahrt und der Übernachtung war es ein teures Vergnügen, aber trotzdem jeden Euro wert!

Die Straßen zurück zur Jugendherberge haben ebenfalls etwas Magisches, so wie ich es manchmal in Turin oder Barcelona erlebt habe. Fast keine Autos sind unterwegs, und ich habe das Gefühl, sie gehörten auch gar nicht hierher in diese Wundernachtstadt.

 

Donnerstag, 30.8.2018: Unikate statt Massenproduktion

Der Donnerstag ist traditionell der dem Jupiter geweihte Glückstag. Und ich will heute über etwas berichten, was mich glücklich macht: Die Plakate des Hermann Andrea Bauer (früher: Hermann Bassé, da war er noch mit meiner ebenfalls früheren Bauchtanzlehrerin Katinka Bassé verheiratet).

Hermann Bauer wohnt bei uns in Stuttgart-Sillenbuch und malt jeden Tag ein Bild (das Projekt Tagesbilder startete schon 2011) oder Plakat. Mit derselben Intensität ist er Schauspieler und Musiker (Gitarrist).

Dank Hermann Bauer haben wir das Glück, dass auf Veranstaltungen bei uns im Stadtteil (vor allem die im Clara-Zetkin-Haus) mit höchst individuellen Plakaten aufmerksam gemacht wird – sind sie nicht wunderschön?

 

Mittwoch, 29.8.2018: Agathe Tyche – das gute Glück

Tyche von Antiochia, Eutychides, ca. 3. Jh. v.u.Z.

Was den Römern die Göttin Fortuna, das war den alten Griechen Tyche – Tochter der Aphrodite und Göttin des durchaus wandelbaren Glücks, den Menschen nicht unbedingt und immer wohlgesonnen, wie die Statue oben zeigt (der Mensch, auf den sie tritt, ist der personifizierte Fluss Orontes).

Deshalb galt es, sie zu besänftigen – nach dem Mahl wurde ihr zusammen mit dem Agathos Daimon, dem guten Geist des Hauses, unter Segensformeln eine Weinspende dargebracht.

Agathe Tyche, das ist aber auch im Jahre 1777 der „Stein des guten Glücks“, den Goethe als Denkmal in seinem Garten im Weimarer Ilmpark setzen ließ. Er ist eines der ältesten, wenn nicht das älteste abstrakte Kunstwerk in Deutschland – hier eine einfache Zeichnung:

Das Monument besteht aus einem 90x90x90 cm großen, männlich-ruhendem Würfel aus dunklem Stein, auf dem eine fast ebenso große Kugel quasi schwebt – Symbol seiner Liebe zur verheirateten Charlotte von Stein und Ausdruck seines Glücksempfindens in diesem Haus und in diesem Garten.

Eine schnurgerade Malvenallee hin zu dem Rondell. Das Podest, auf dem das Denkmal steht, ist auf einer Seite etwas breiter: Hier soll sich der Besucher hinstellen, mitten ins steinerne Heiligtum für die Frau von Stein, mit Blick ins Ilmtal.

Heutzutage berühren Besucher die Kugel, um sich ein bisschen Glück mit nach Hause zu nehmen.

Wenn Sie mehr über Goethes Gärten in Weimar erfahren möchten, dann sei Ihnen das Buch „Der Garten am Haus – Thüringer Kleinode zwischen Zierde und Nutzen, Band 1: Historische Gärten“ von Annette Seemann und Constantin Beyer empfohlen, © VDG Weimar 2015.

Dienstag, 28.8.2018: Hans im Glück

Was braucht es zum Glück? Viel Besitz auf jeden Fall nicht, und übermäßige Intelligenz ebensowenig. Aber Optimismus und die Fähigkeit, sich an jede Situation bestmöglich anzupassen – der Schleifstein war mir zu schwer, was ein Glück, dass er in den Brunnen gefallen ist. Hans macht es uns vor, hier das Märchen:

Hans hatte sieben Jahre bei seinem Herrn gedient, da sprach er zu ihm ‘Herr, meine Zeit ist herum, nun wollte ich gerne wieder heim zu meiner Mutter, gebt mir meinen Lohn.’ Der Herr antwortete ‘du hast mir treu und ehrlich gedient, wie der Dienst war, so soll der Lohn sein,’ und gab ihm ein Stück Gold, das so groß als Hansens Kopf war. Hans zog ein Tüchlein aus der Tasche, wickelte den Klumpen hinein, setzte ihn auf die Schulter und machte sich auf den Weg nach Haus. Wie er so dahinging und immer ein Bein vor das andere setzte, kam ihm ein Reiter in die Augen, der frisch und fröhlich auf einem muntern Pferd vorbeitrabte. ‘Ach,’ sprach Hans ganz laut, ‘was ist das Reiten ein schönes Ding! da sitzt einer wie auf einem Stuhl, stößt sich an keinen Stein, spart die Schuh, und kommt fort, er weiß nicht wie.’ Der Reiter, der das gehört hatte, hielt an und rief ‘ei, Hans, warum laufst du auch zu Fuß?’ ‘Ich muss ja wohl,’ antwortete er, ‘da habe ich einen Klumpen heim zu tragen: es ist zwar Gold, aber ich kann den Kopf dabei nicht gerad halten, auch drückt mirs auf die Schulter.’ ‘Weißt du was,’ sagte der Reiter, ‘wir wollen tauschen: ich gebe dir mein Pferd, und du gibst mir deinen Klumpen.’ ‘Von Herzen gern,’ sprach Hans, ‘aber ich sage Euch, Ihr müßt Euch damit schleppen.’ Der Reiter stieg ab, nahm das Gold und half dem Hans hinauf, gab ihm die Zügel fest in die Hände und sprach ‘wenns nun recht geschwind soll gehen, so musst du mit der Zunge schnalzen und hopp hopp rufen.’

Hans war seelenfroh, als er auf dem Pferde saß und so frank und frei dahinritt. Über ein Weilchen fiels ihm ein, es sollte noch schneller gehen, und fing an mit der Zunge zu schnalzen und hopp hopp zu rufen. Das Pferd setzte sich in starken Trab, und ehe sichs Hans versah’ war er abgeworfen und lag in einem Graben, der die Äcker von der Landstraße trennte. Das Pferd wäre auch durchgegangen, wenn es nicht ein Bauer auf gehalten hätte, der des Weges kam und eine Kuh vor sich hertrieb. Hans suchte seine Glieder zusammen und machte sich wieder auf die Beine. Er war aber verdrießlich und sprach zu dem Bauer ‘es ist ein schlechter Spaß, das Reiten, zumal, wenn man auf so eine Mähre gerät, wie diese, die stößt und einen herab wirft, daß man den Hals brechen kann; ich setze mich nun und nimmermehr wieder auf. Da lob ich mir Eure Kuh, da kann einer mit Gemächlichkeit hinterher gehen, und hat obendrein seine Milch, Butter und Käse jeden Tag gewiss. Was gäb ich darum, wenn ich so eine Kuh hätte!’ ‘Nun,’ sprach der Bauer, ‘geschieht Euch so ein großer Gefallen, so will ich Euch wohl die Kuh für das Pferd vertauschen.’ Hans willigte mit tausend Freuden ein: der Bauer schwang sich aufs Pferd und ritt eilig davon.

Hans trieb seine Kuh ruhig vor sich her und bedachte den glücklichen Handel. ‘Hab ich nur ein Stück Brot, und daran wird mirs noch nicht fehlen, so kann ich, sooft mirs beliebe, Butter und Käse dazu essen; hab ich Durst, so melk ich meine Kuh und trinke Milch. Herz, was verlangst du mehr?’ Als er zu einem Wirtshaus kam, machte er halt, aß in der großen Freude alles, was er bei sich hatte, sein Mittags- und Abendbrot, rein auf, und ließ sich für seine letzten paar Heller ein halbes Glas Bier einschenken. Dann trieb er seine Kuh weiter, immer nach dem Dorfe seiner Mutter zu. Die Hitze ward drückender, je näher der Mittag kam, und Hans befand sich in einer Heide, die wohl noch eine Stunde dauerte. Da ward es ihm ganz heiß, so dass ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebte. ‘Dem Ding ist zu helfen” dachte Hans, ‘jetzt will ich meine Kuh melken und mich an der Milch laben.’ Er band sie an einen dürren Baum, und da er keinen Eimer hatte, so stellte er seine Ledermütze unter, aber wie er sich auch bemühte, es kam kein Tropfen Milch zum Vorschein. Und weil er sich ungeschickt dabei anstellte, so gab ihm das ungeduldige Tier endlich mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor den Kopf, dass er zu Boden taumelte und eine Zeitlang sich gar nicht besinnen konnte, wo er war.

Glücklicherweise kam gerade ein Metzger des Weges, der auf einem Schuhkarren ein junges Schwein liegen hatte. ‘Was sind das für Streiche!’ rief er und half dem guten Hans auf. Hans erzählte, was vorgefallen war. Der Metzger reichte ihm seine Flasche und sprach ‘da trinkt einmal und erholt Euch. Die Kuh will wohl keine Milch geben, das ist ein altes Tier, das höchstens noch zum Ziehen taugt oder zum Schlachten.’ ‘Ei, ei,’ sprach Hans und strich sich die Haare über den Kopf, ‘wer hätte das gedacht! es ist freilich gut, wenn man so ein Tier ins Haus abschlachten kann, was gibts für Fleisch! aber ich mache mir aus dem Kuhfleisch nicht viel, es ist mir nicht saftig genug. Ja, wer so ein junges Schwein hätte! das schmeckt anders, dabei noch die Würste.’ ‘Hört, Hans,’ sprach da der Metzger, ‘Euch zuliebe will ich tauschen und will Euch das Schwein für die Kuh lassen.’ ‘Gott lohn Euch Eure Freundschaft,’ sprach Hans, übergab ihm die Kuh, ließ sich das Schweinchen vom Karren losmachen und den Strick, woran es gebunden war, in die Hand geben.

Hans zog weiter und überdachte, wie ihm doch alles nach Wunsch ginge, begegnete ihm ja eine Verdrießlichkeit, so würde sie doch gleich wieder gut gemacht. Es gesellte sich danach ein Bursch zu ihm, der trug eine schöne weiße Gans unter dem Arm. Sie boten einander die Zeit, und Hans fing an, von seinem Glück zu erzählen, und wie er immer so vorteilhaft getauscht hätte. Der Bursch erzählte ihm, dass er die Gans zu einem Kindtaufschmaus brächte. ‘Hebt einmal,’ fuhr er fort und packte sie bei den Flügeln, ‘wie schwer sie ist, die ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden. Wer in den Braten beißt, muss sich das Fett von beiden Seiten abwischen.’ ‘Ja,’ sprach Hans, und wog sie mit der einen Hand, ‘die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist auch keine Sau.’ Indessen sah sich der Bursch nach allen Seiten ganz bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem Kopf. ‘Hört,’ fing er darauf an, ‘mit Eurem Schweine mags nicht ganz richtig sein. In dem Dorfe, durch das ich gekommen bin, ist eben dem Schulzen eins aus dem Stall gestohlen worden. Ich fürchte, ich fürchte, Ihr habts da in der Hand. Sie haben Leute ausgeschickt, und es wäre ein schlimmer Handel, wenn sie Euch mit dem Schwein erwischten: das Geringste ist, dass Ihr ins finstere Loch gesteckt werdet.’ Dem guten Hans ward bang, ‘ach Gott,’ sprach er, ‘helft mir aus der Not, Ihr wisst hier herum bessern Bescheid, nehmt mein Schwein da und lasst mir Eure Gans.’ ‘Ich muss schon etwas aufs Spiel setzen,’ antwortete der Bursche, ‘aber ich will doch nicht schuld sein, dass Ihr ins Unglück geratet.’ Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einen Seitenweg fort: der gute Hans aber ging, seiner Sorgen entledigt, mit der Gans unter dem Arme der Heimat zu. ‘Wenn ichs recht überlege,’ sprach er mit sich selbst, ‘habe ich noch Vorteil bei dem Tausch: erstlich den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die heraus träufeln wird, das gibt Gänsefettbrot auf ein Vierteljahr, und endlich die schönen weißen Federn, die lass ich mir in mein Kopfkissen stopfen, und darauf will ich wohl ungewiegt einschlafen. Was wird meine Mutter eine Freude haben!’

Als er durch das letzte Dorf gekommen war, stand da ein Scherenschleifer mit seinem Karren, sein Rad schnurrte, und er sang dazu.

‘ich schleife die Schere und drehe geschwind,
und hänge mein Mäntelchen nach dem Wind.’

Hans blieb stehen und sah ihm zu; endlich redete er ihn an und sprach ‘Euch gehts wohl, weil Ihr so lustig bei Eurem Schleifen seid.’ ‘Ja,’ antwortete der Scherenschleifer, ‘das Handwerk hat einen güldenen Boden. Ein rechter Schleifer ist ein Mann, der, sooft er in die Tasche greift, auch Geld darin findet. Aber wo habt Ihr die schöne Gans gekauft?’ ‘Die hab ich nicht gekauft, sondern für mein Schwein eingetauscht.’ ‘Und das Schwein?’ ‘Das hab ich für eine Kuh gekriegt.’ ‘Und die Kuh?’ ‘Die hab ich für ein Pferd bekommen.’ ‘Und das Pferd?’ ‘Dafür hab ich einen Klumpen Gold, so groß als mein Kopf, gegeben.’ ‘Und das Gold?’ ‘Ei, das war mein Lohn für sieben Jahre Dienst.’ ‘Ihr habt Euch jederzeit zu helfen gewusst,’ sprach der Schleifer, ‘könnt Ihrs nun dahin bringen, dass Ihr das Geld in der Tasche springen hört, wenn Ihr aufsteht, so habt Ihr Euer Glück gemacht.’ ‘Wie soll ich das anfangen?’ sprach Hans. ‘Ihr müsst ein Schleifer werden wie ich; dazu gehört eigentlich nichts als ein Wetzstein, das andere findet sich schon von selbst. Da hab ich einen, der ist zwar ein wenig schadhaft, dafür sollt Ihr mir aber auch weiter nichts als Eure Gans geben; wollt Ihr das?’ ‘Wie könnt Ihr noch fragen,’ antwortete Hans, ‘ich werde ja zum glücklichsten Menschen auf Erden; habe ich Geld, sooft ich in die Tasche greife, was brauche ich da länger zu sorgen?’ reichte ihm die Gans hin, und nahm den Wetzstein in Empfang. ‘Nun,’ sprach der Schleifer und hob einen gewöhnlichen schweren Feldstein, der neben ihm lag, auf, ‘da habt Ihr noch einen tüchtigen Stein dazu, auf dem sichs gut schlagen lässt und Ihr Eure alten Nägel gerade klopfen könnt. Nehmt ihn und hebt ihn ordentlich auf.’

Hans lud den Stein auf und ging mit vergnügtem Herzen weiter; seine Augen leuchteten vor Freude, ‘ich muss in einer Glückshaut geboren sein,’ rief er aus ‘alles, was ich wünsche, trifft mir ein, wie einem Sonntagskind.’ Indessen, weil er seit Tagesanbruch auf den Beinen gewesen war, begann er müde zu werden; auch plagte ihn der Hunger, da er allen Vorrat auf einmal in der Freude über die erhandelte Kuh aufgezehrt hatte. Er konnte endlich nur mit Mühe weitergehen und musste jeden Augenblick halt machen; dabei drückten ihn die Steine ganz erbärmlich. Da konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie gut es wäre, wenn er sie gerade jetzt nicht zu tragen brauchte. Wie eine Schnecke kam er zu einem Feldbrunnen geschlichen, wollte da ruhen und sich mit einem frischen Trunk laben: damit er aber die Steine im Niedersitzen nicht beschädigte, legte er sie bedächtig neben sich auf den Rand des Brunnens. Darauf setzte er sich nieder und wollte sich zum Trinken bücken, da versah ers, stieß ein klein wenig an, und beide Steine plumpsten hinab. Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art, und ohne dass er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm allein noch hinderlich gewesen wären. ‘So glücklich wie ich,’ rief er aus, ‘gibt es keinen Menschen unter der Sonne.’ Mit leichtem Herzen und frei von aller Last sprang er nun fort, bis er daheim bei seiner Mutter war.

Trivia: Und weil Hansens Glück offenbar ansteckt, haben sich sowohl ein Münchner Spieleverlag als auch eine äußerst erfolgreiche Edelburger-Kette nach diesem Märchen benannt.

 

Fr, 24.8. – Mo, 27.8.2018: Greiz – Vom Hässlichen zum Schönen


Hier ist es schön: Blick aus unserer Dachgeschoss-Ferienwohnung auf die Greizer Neustadt

Am Freitag sind meine Familie und ich wieder nach meiner Morbus-Sudeck-Behandlung im Krankenhaus mit einem Mietwagen ins ostthüringische Greiz gefahren. Durchaus schwierig, eine Unterkunft zu finden, alles einigermaßen Bezahlbare schien ausgebucht, aber schließlich kamen wir doch in einer netten Dachgeschosswohnung in der Neustadt unter, mit einem phantastischen Preis-Leistungs-Verhältnis.

Der Grund für unser Kommen: Wir haben endlich von der Stadt die Erlaubnis bekommen, die Wohnung unseres letzten, bereits Ende Mai verstorbenen Mieters zu räumen. 69 Jahre ist der Mann alt geworden, er war Alkoholiker, Kettenraucher und litt unter dem Vermüllungssyndrom. Ich habe noch nie so ein ekelhafte Wohnung betreten, geschweige denn ausgeräumt, trotz Atemschutz und Ganzkörperkondom à la Tatortreiniger – den Gestank atme ich ein, und er hängt auch zum Schluss in meinem schwarzen gewachsten Rock fest. Und: Die Wohnung lebt. Verschimmelt ist eh alles auf den ungewaschenen Tellern und in den ebenso ungewaschenen Töpfen, der Schimmel ist sogar schon eingetrocknet. Nachdem ich auf den Eiern im Kühlschrank hunderte von quicklebendigen Maden entdeckt und einmal „Hilfe!“ gerufen habe, versiegeln wir ihn mit Panzerband, bevor wir ihn transportieren.

Samstag und Sonntag brauchen wir, um alles in Schwerlastsäcke zu packen (ich) und die Möbel klein zuschlagen (mein Mann Klaus) und vor das Haus zu tragen – unsere Tochter Lenja lassen wir lieber mit dem Allessauger in den anderen Stockwerken saugen und später wischen, zu groß ist mir als Mutter das Gesundheitsrisiko für mein Kind.

Sehr einsam sei er gewesen, sagt eine Nachbarin mit kleinem Hund, drei Entziehungskuren habe er gemacht, sie habe ihn einmal in seiner Wohnung besucht, er habe ihr leid getan, aber sie beneide uns nicht um unsere Aufgabe. Wann kippt es bei einem Menschen? Was genau ist ihm widerfahren? Er hatte zu DDR-Zeiten viele Preise gewonnen im Federball und Tischtennis und auch im Angeln, war Maschinenbaumeister, Unteroffizier, NDPD-Mitglied (ging nach der Wiedervereinigung in der FDP auf), Gewerkschaftsmitglied und irgendwann auch einmal verheiratet. Nach der Wende: Keinerlei Urkunden mehr. Später gab es dann eine Helga, die im Stockwerk unter ihm wohnte und von der er noch drei Namensbecher hatte. Sie starb in jungen Jahren 2005. Wann ist es gekippt: Nach der Wende? Oder als Helga starb? Wann zerbricht ein Mensch? Wie kann ein Mensch so unglücklich werden? Und wo hat die Stadt ihn eigentlich begraben?

Für den Montag haben wir einen Zehn-m³-Mischcontainer bestellt, aber der erweist sich als zu klein, wir brauchen die doppelte Menge. Um 16 Uhr ist alles in den Containern, wir dürften sogar noch etwas Elektroschrott obendrauf packen, aber dann müsste man wieder hin- und herräumen, denn wegen der Oberleitungen im Stadtteil soll nichts überstehen, und wir sind alle mit unseren Kräften am Ende.

Wir waren in der ganzen Zeit dankbar für die gute Dusche in unserer Ferienwohnung, für das Bio-Essen von Aldi (der Greizer Biomarkt hatte am Freitag leider schon vor unserer Ankunft geschlossen und ist samstags eh zu) – und nach unserer Montagsaktion schließlich für Waffeln-mit-Heidelbeeren und mehr im Eiscafé Doimo, das wir schon von unserem letzten Aufenthalt kannten. Dann heißt es noch Greizer Sekt und Grün-Bitter aus dem ebenfalls vogtländischen Reichenbach für unseren Vermieter besorgen, der während unserer Abwesenheit sich um Katze Kalas gekümmert hat – und zurück geht es nach Stuttgart. Auf unserem Weg von einem stark sanierungsbedürftigen Doppelhaus zu einem Ökoglückshaus Greiz sind wir ein gutes Stück weitergekommen.

Und noch ein Positives hat dieses Horror-Wochenende (das ich vermutlich mein Lebtag nicht vergessen werde): meine Hand ist deutlich beweglicher – und ich konnte sogar das Opiat um weitere 33% verringern. Vielleicht sollte ich häufiger Entrümpeln….

Freitag, 24.8.2018: Frida Kahlo, das Lapidarium und die Zacke

Obwohl noch nicht der Día de los Muertos ist, der mexikanische Allerseelentag am 2.11., besuchte uns gestern die verstorbene Frida Kahlo in Stuttgart. Genauer gesagt, kam sie ins Lapidarium in der Mörikestraße geflogen, jenem eigentümlichen Garten, der voller Statuen und Steinfragmente steckt – von der Antike bis ins frühe 20. Jahrhundert.

Der ehemalige römische Garten der Villa Ostertag-Siegle beherbergt neben vielen anderen Dannecker berühmte Nymphengruppe mit Sitzplatz unter Ahörnern und Blick auf eine Wandelhalle mit Gräberfunden aus römischer Zeit, Pan, Putten und einer Kopie des Apollos von Belvedere (das Original besitzt die katholische Kirche, der Vatikan).

Über diesen Apollo äußerte Goethe einst, er übersteige alle Denkbare und habe ihn aus der Wirklichkeit hinaus gerückt – von daher verwundert es also auch nicht, dass wir hier der 1954 gestorbenen Malerin Frida und und ihrem Gitarre spielenden und singenden, langhaarigen, platonischen Freund Pedro begegnen. Zumal sie zu Baden-Württemberg eh eine innige Beziehung hatte – ihr Vater war gebürtiger Pforzheimer.

Eingeladen haben die K21-Anstifter zusammen mit dem StadtPalais – Museum für Stuttgart, und so viele sind gekommen, dass immer neue Stühle und Bänke herbeigeholt werden müssen. Eine Schauspielerin, Tänzerin, Verwandlungskünstlerin und Sängerin mit dem Namen Eunike Engelkind, die schöne, gute Siegesgöttin, Kind eines Engels, stellt passenderweise Frida dar, in bunten Kleidern, wie Frida sie geliebt hätte, grellbunt, wie Frida Farben mochte, und fragt uns: „Wozu brauche ich Füße, wenn ich Flügel habe?“ Die Flügel brauchte Frida tatsächlich, um sich mit ihren dauernden, grausamen Schmerzen zu verbünden, die sie seit einer Kinderlähmung plus einem grauenvollen Verkehrsunfall mit 18 Jahren bis zu ihrem Tod mit nur 47 Jahren täglich quälten – 1953 musste ihr sogar das rechte Bein amputiert werden. Eine rebellische Kommunistin blieb sie trotzdem, bis zum Schluss, und zwischendrin war sie auch die Geliebte Trotzkis. Was für ein gutes Vorbild für mich Morbus-Sudeck-Geplagte!

Fridas letztes Bild zeigt Wassermelonen auf brauner Erde vor blauweißem Himmel, köstliche, duftende Wassermelonen, und auf der ganz vorne, in der Mitte steht: „VIVA LA VIDA“. Das Rebellisch-Trotzige „Es lebe das Leben“, vor der harmonischen Frühabendstimmung im Lapidarium. Es ist noch hell, aber der Mond schon aufgegangen, als wir nach Ende der Vorstellung mit einem der zwei schönsten öffentlichen Verkehrsmittel Stuttgarts vom Marienplatz nach Degerloch fahren: mit der Zahnradbahn, hier liebevoll Zacke genannt, Aussicht auf Stuttgart gibt es gratis dazu. Viva la vida!

 

Donnerstag, 23.8.2018: Die Form der Schönheit

Welche Form hat die Schönheit eigentlich? Wie kann sie zu einer Quelle der Lebenskunst werden? Und wie lässt sich Schönheit im Alltagsleben verwirklichen? Diesen Fragen geht der Kölner Autor Frank Berzbach in einem kürzlich bei Eichborn erschienen und schön gestalteten Essay (mit Lesebändchen, welch ein Luxus!) nach.

Viele Bereiche macht er aus, in denen sich Schönheit verwirklichen lässt, einer davon ist das Heilige, Sakrale, während er bemängelt, dass die Kunstproduktion der Jetztzeit sich häufig nicht mehr mit dem Schönen, sondern ab und an sogar mit dem Hässlichen beschäftigt.

In Opposition zur Schönheit stehen für ihn Lärm, Zerstörung und Rausch, Computerspiele, Krieg, Aggression und Folter. Um so mehr erstaunt sein Faible für Herrenmagazine und den Lebensstil ihrer Herausgeber sowie für Pin-ups, die ja nun genau mit Krieg (Pin-ups auf Bombern) und Aggression gegen Frauen (Vergewaltigung durch Soldaten) jedwede Menge zu tun haben. Was nutzt Schönheit, wenn sie zur Ware verkommt, und eine Marilyn Monroe (die auch als Pin-up posierte) am Ende ihres kurzen Lebens, von Drogen zerstört, Selbstmord begeht, falls sie nicht doch ermordet wurde? Die Herausgabe von Herrenmagazinen und Modezeitschriften mag es den Herausgebern ermöglichen, ein schönes Leben zu führen – für Models ist fast immer das Gegenteil der Fall. Übrigens: Die dort verwendeten „schönen“ High-Heels ruinieren jeden Frauenfuß ohne Ausnahme nachhaltig, die orthopädischen Probleme und die Schmerzen im Alter sind immens – und was haben deformierte Füße (wo Herr Berzbach doch behauptet, gegen Schönheits-OPs zu sein) und Schmerzen mit einem Leben in Schönheit zu tun? Müssen die high-heels-deformierten Frauen dann die Orte der Berzbachschen Schönheit und der Foucaultschen Heterotropien verlassen?

Warum sich Berzbach zur selben Zeit über Pin-ups in der Kirche entrüstet (genauer gesagt: über den Auftritt von Pussy Riot in einer russischen Kirche zum Ärger Putins), das entzieht sich nun vollständig meinem Verständnis, denn zumindest sind diese Frauen doch schön, sogar sehr schön und die Kleiderausschnitte tief, es gibt sogar den Ansatz eines Can-Cans, auch wenn die Worte des Punk-Gebets selbst nicht ästhetizistisch-schön, sondern eben wahr und politisch sind (https://www.youtube.com/watch?v=grEBLskpDWQ). Wahrheit und Liebe, sagt Herr Berzbach, seien untrennbar mit Schönheit verbunden. Stört es ihn etwa, dass die Frauen ihre Gesichter verhüllt haben? Aber das kommt in den Herrenmagazinen doch auch vor! Oder liegt es daran, dass man, spießbürgerlich betrachtet, einfach nicht tut, was Pussy Riot getan hat? Oder sollte es Herr Berzbach sein, der bestimmt, was politische Wahrheit und damit schön ist?

Kommen wir zu dem, was Frank Berzbach außer Pin-ups noch liebt: die Schönheit von Fahrrädern, Schallplatten und Plattenspielern, Bücher, Jazz, Füllhalter und Bleistifte, Papier und Notizbücher, Tätowierungen (übrigens in der Ethnologie ein Zeichen für gewalttätige Kulturen – Menschen müssen dafür Schmerz ertragen können und üben damit schon mal für den Krieg mit den Nachbarn – ich mag sie als Ethnologin deshalb nicht), Kirchen, Klöster, Museen und Hotels, Schuhe und das Meer, inhabergeführte Ladengeschäfte, Tee- und Kaffeehäuser. Bis auf die Tätowierungen kann ich ihm da wieder folgen.

Berzbach behauptet, dass nur wenige Frauen Jazz mögen, und wird sich freuen zu hören, dass ich eine davon bin – vielleicht dank meines verstorbenen Vaters, der mich schon früh in Konzerte zum Beispiel des United Jazz & Rock Ensembles mitnahm. It‘s the Bourbon Skiffle Company, allways happy, happy as can beeeee…. Am meisten schätze ich den Cross-over zwischen Jazz und Weltmusik.

Wir besitzen in der Familie kein Auto, sondern benutzen Fahrräder, öffentliche Verkehrsmittel und unsere Füße – und haben sogar unseren Vermieter überzeugt, es uns gleich zu tun.

Stattdessen besitze ich noch eine ganze Reihe von Schallplatten und einen halbautomatischen Plattenspieler. Aber ich höre auch CDs und SWR2 (und ganz manchmal Klassik Radio, das mir aber auf Dauer zu platt und zu sehr von Werbung verseucht ist – was dem Konzept von „Klassik zum Wohlfühlen“ massiven Abbruch tut, jedenfalls was mein Wohlgefühl anbelangt).

Als Germanistin und Verlagskauffrau liebe ich selbstverständlich Bücher – eine Zeitlang war ich sogar Mitglied bei den Bücherfrauen. Vor allem liebe ich auch schön gemachte Bücher, solche, die Buchpreise für ihre Gestaltung gewinnen. Oder die Bücher (und T-Shirts) der Buchkinder Leipzig (https://www.buchkinder.de/die-idee/). Ich habe noch kein einziges Buch online gelesen, obwohl mein eigener Kräuterkrimi online bei Amazon publiziert worden ist – mir fehlt dabei das Haptische (https://www.amazon.de/Alraunen-Galgenbuckel-Ein-Stuttgarter-Kr%C3%A4uterkrimi-ebook/dp/B01H25SY7Q/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1535022139&sr=8-1&keywords=Alraunen+am+Galgenbuckel).

Ich besitze ebenfalls viele Bleistifte und einen Füllfederhalter (und spiele gerade mit dem Gedanken an den Kauf eines zweiten als Ersatz für den kaputt gegangenen). Papier und Notizbücher gehören dazu.

Über Kirchen, inhabergeführte Ladengeschäfte und Museen habe ich schon auf diesem Blog berichtet – das Meer wird dazukommen, sobald wir wieder einmal dorthin fahren, denn am liebsten würde ich am Meer wohnen, zum Beispiel in Flensburg oder Lübeck.

Und es wird es Herrn Berzbach auch freuen, dass ich gestern im Harry‘s gesessen und Leute geguckt habe. Das Harry‘s ist eine Kaffeerösterei in der Stuttgarter Eberhardstraße. Hier wird einem der doppelte Espresso an der Theke serviert mit einem Glas stillen Wasser und einem Täfelchen Zartbitterschokolode mit Kakaosplittern, dazu habe ich noch einen Tartufo dolce Menta von Tartuflanghe genossen – und später für meinen Mann als Freitagsgeschenk noch Erdbeerpralinen erstanden, die unter der schönen Bezeichnung „Frucht & Sinne – Leidenschaft“ verkauft werden und Fairtrade sind. Kein Caféhaus im engeren Sinne, aber eben ein inhabergeführtes Kaffeehaus mit eigener Philosophie: https://harrys-kaffee.de/philosophie/

Ach ja, und die Schuhe: Heute wurde mir netterweise ein neues Paar zum Anprobieren zugeschickt, weil es im Laden gerade nicht vorrätig war. Ich bin gespannt…

Aber ist das alles, worum es bei der Schönheit des Alltags geht? Ja, Herr Berzbach erwähnt auch die Kreativität, und immerhin hat er ja ein Buch geschrieben, das ist doch schon mal was. Ja, und er erwähnt auch die Meditation und das Heilige. Trotzdem bleibt er mir zu sehr an der äußeren Form hängen und kommt zu wenig auf die innere Form der Schönheit zu sprechen. Ich vermute nämlich, dass es eine innere Form der Schönheit gibt, und dass ich irgendwann in diesem Blog nicht mehr nur über die Schönheit des Zitronenfalters sprechen werde, der gerade kurz an mein Fenster geflogen ist, bevor er weitergegaukelte. Ein Gedicht vermittelt etwas von dieser inneren Schönheit, manchmal ein Musikstück oder ein Gemälde. Und trotzdem ist es nicht einfach der Goldene Schnitt (den Berzbach in seinem Essay übrigens nicht erwähnt) oder irgend eine Technik, die etwas zu etwas Schönem machen.

Es ist ein eher ein inneres Leuchten und Strahlen. Die drei Frauen von Pussy Riot haben es übrigens, in ihren Gesichtern, dieses Leuchten (https://de.wikipedia.org/wiki/Pussy_Riot). Und vielleicht hätte die russische Christ-Erlöser-Kirche auch solch ein Leuchten, wenn sie kein Dach hätte, sondern nach oben offen wäre, zum Himmel hin, wo nach christlichem Glauben Gott sitzt.

Affektiertheit“, schreibt Herr Berzbach am Ende, „ist niemals schön und Schönheit ist immer unergründlich tief.“

Herr Berzbach wirkt durch seinen Text und seine Webseite auf mich wie ein dem Ästhetizismus verhafteter Mensch, wie ein Dandy des 21. Jahrhunderts und ein Flaneur, der trotz seiner Zen-Meditationen leider immer noch die Form der Schönheit der Lebenskunst über ihren Inhalt stellt. L’art pour l’art eben. Mein Leben ist jedoch nicht schön, weil ich in einem Kaffeehaus sitze, gut angezogen und umgeben von schönen Menschen. Sondern es speist sich zum Beispiel auch aus der Schönheit des Widerstands – auch im Alltag – und der hat eine ganz andere Form.

Aus diesem Grunde ziert nicht Herrn Berzbachs Buchcover diesen Blogbeitrag, sondern ein Foto von frischen, noch ungerösteten Kaffeebohnen.

Mittwoch, 22.8.2018: Das Wunder von Mals

Ein Dorf trotzt der Agrarindustrie: „Wir befinden uns im Jahr 2015. Ganz Südtirol wird von Apfelmonokulturen überrollt und in Pestizidwolken gehüllt. Ganz Südtirol? Nein! Eine Handvoll unbeugsamer Vinschger kämpft mit Erfolg für eine pestizidfreie Gemeinde Mals. Man wehrt sich mit einem Feuerwerk der Ideen gegen eine übermächtige Lobby aus Obstbauern, Bauernbund, Landesregierung und Pharmaindustrie.“ So startet der Trailer zu einem neuen Dokumentarfilm von Alexander Schiebel (Verleih: Wunderfilm, © 2018), der komplett durch Crowdfunding und mit Unterstützung des Umweltinstituts München finanziert wurde. Das gleichnamige Buch zum Film ist bereits Ende 2017 beim oekom-Verlag München erschienen (ISBN-13: 978-3-96006-014-7), und den Newsletter mit wöchentliche Updates über das Projekt erhält mensch über die Wunderwerkstatt in Meran.

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Die rund fünftausend Menschen in Mals empfinden sich als kleines, gallisches Dorf im oberen Vinschgau – ganz im Westen Südtirols. „Und wie das Spiel ausgeht: Das werden wir vielleicht bei Asterix und Obelix nachlesen können,“ erklärt der örtliche Tierarzt. Der Apotheker neben ihm lacht und meint, dass sie natürlich nicht verraten werden, dass sie den Zaubertrank von Miraculix besitzen…

Betttuchaktion der Malser Frauen

Ich hatte das Buch schon zu Weihnachten gelesen und war gespannt auf den Film. Mein Mann und Klaus und ich sind nun heute ins Arthaus-Kino atelier am bollwerk gefahren, wo er auf Anregung von und in Kooperation mit der Stuttgarter Slow-Food-Gruppe gezeigt und hinterher diskutiert wird. Gleich haben wir natürlich auch einen Bekannten aus der Stuttgarter K21-Bewegung getroffen – und so einiges an Widrigkeiten, mit denen die Malser zu kämpfen haben, kommt auch uns bekannt vor…

Den Zaubertrank von Miraculix, den werden die tapferen Malser tatsächlich brauchen, denn mittlerweile sind alle „Rädelsführer“ angeklagt und können nur hoffen, dass die nächste Instanz in Rom einsichtiger sein wird als die Südtiroler Landesregierung in Bozen. Das Verbrechen der Malser: Sie haben – wohlgemerkt in Übereinstimmung mit der örtlichen Gemeindesatzung – eine Volksabstimmung durchgeführt, bei der sich 75,8% der Wahlberechtigten für ein pestizidfreies Mals ausgesprochen haben (Wahlbeteiligung: 70%). Und das wollen sie nun eben auch durchsetzen. Eine Volksabstimmung mag zwar in der Verfassung der Gemeinde Mals stehen, Unrecht ist sie trotzdem, wettern Bauernverband und Landesregierung – denn mit Pestiziden verseuchte Südtiroler Äpfel, daran verdient man einfach mehr. Und gleich haben Unbekannte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einem Malser Biobauern Glyphosat auf die Obstbäume gespritzt. Alle Blätter sind abgefallen beziehungsweise hängen braun-verbrannt traurig ihre Blattspitzen nach unten – und der Mann darf für seine Meinungsäußerung vielleicht Konkurs anmelden.

Bei unserem letzten Urlaub in Südtirol konnte ich sie zwischen Bozen und Meran vom Linienbus aus vorbei flitzen sehen, die Obstmonokulturen. Meere aus Betonpfeilern, ein Baum wie der andere, keinerlei Vielfalt mehr. Das ist hässlich. Die Pestizide, die lagern sich sogar in den Sandkästen der Kinder der Bauern ab. Und das ist NICHT alternativlos, wie die Malser uns überdeutlich zeigen. Nur wollen die konventionellen Bauern es nicht hören – obwohl sie sie selbst mehrfach pro Woche einatmen und sich selbst und ihre Angehörigen damit vergiften. Langsam und stetig. Wie so häufig: Die Angst vor dem eigenständigen Denken scheint größer zu sein als die Angst vor Krebs (jeder Zigarettenraucher beweist es täglich).

Dass gemeinsamer Widerstand glücklich und schön macht, das sieht man wiederum den Malsern an: Trotz aller Probleme wird viel gelacht in diesem Dokumentarfilm – und das Strahlen, das reicht hinein bis in die Fältchen um die Augen herum.

Wer sich am Crowdfunding beteiligen möchte (einige Rechnungen sind noch offen): http://wundervonmals.com/crowdfunding/

Dienstag, 21.8.2018: Gedanken Berühmter über Glück und Schönheit

Die taubblinde Helen Keller (1880-1968) im Jahre 1905

Helen Keller erkrankte als Kleinkind mit 19 Monaten an Hirnhautentzündung und konnte danach nicht mehr sehen und hören. Trotzdem hat sie Erstaunliches geleistet, viele Sprachen gelernt, Bücher geschrieben, ein Studium abgeschlossen und war u.a. Mitglied der Sozialistischen Partei Amerikas. Sogar ein Buch mit dem Titel „Optimismus“ ist unter ihren Werken – und dass Optimisten länger leben, sogar bei massiver Schwerbehinderung, beweist sie selber: Knapp 88 Jahre ist sie alt geworden. Von ihr stammt der folgende Satz:

Die besten und schönsten Dinge können nicht gesehen oder gar berührt werden – sie müssen mit dem Herzen gefühlt werden.“

Der beste Spruch für mich als Heilpraktikerin in spe hängt bei uns an der Tür:

Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist,
habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“
(Voltaire, 1694-1778)

Hier noch drei weitere Zitate zu den Themen Glück und Schönheit:

Müßiggang ist aller Laster Anfang?
O nein, er ist das reine Glück!“
(Elke Heidenreich, *1943)

Die Schönheit ist die Lebensnahrung der Seele.“
(Bettina von Arnim, 1785-1859)

Die Gaben der Natur und des Glücks sind nicht so selten wie die Kunst, sie zu genießen.“
(Luc de Clapiers, Marquis de Vauvernargues, 1715-1747)

Ich wünsche mir, dass dieser Blog Ihnen beim Genießen von Glück und Schönheit helfen möge!

Montag, 20.8.2018: Schön vernetzt

Wärmeentwicklung des Weltalls vom Urknall bis heute
Das gesamte Video zum Downloaden unter: http://www.illustris-project.org/movies/illustris_movie_dome4k_gastemp_preview.mp4

Ist es nicht schön, unser Weltall? Alles hängt mit allem zusammen. Das Video ist Teil der Ausstellung „Netzwerk“ in der Stuttgarter ifa-Galerie (noch bis zum 16. September 2018, Eintritt kostenlos).

Das ifa selbst ist Teil eines Netzwerkes, denn die Abkürzung steht für das Institut für Auslandsbeziehungen am Charlottenplatz, und was sind Auslandsbeziehungen anderes als das Schaffen weltweiter Netzwerke?

Es gibt viele Netze, schöne, handwerklich geknüpfte Fischernetze, aber auch die globalen Firmennetzwerke der Mega-Kapitalisten von Nestlé bis Procter & Gamble, schwer zu durchschauen für diejenigen, die sich nicht in den Netzen der Superreichen und -mächtigen verfangen wollen.

Vernetztes Denken, das war es, was wir Jugendlichen in den 70er Jahren gerne dem linearen Denken und der Umweltzerstörung entgegenstellen wollten – zumindest die wenigen von uns, die damals „grün“ dachten und Klassenausflüge in das AKW Biblis zwecks Demonstration, wie sicher diese Technologie ist, infrage stellten.

Geändert hat sich (bis auf ein paar grüne Mäntelchen hier und da und das sog. Greenwashing) wenig: Wir steuern weiterhin frohen Mutes auf die Klimakatastrophe zu – dieser Sommer war bisher wärmer als alle vorhergehenden.

Welche alternativen Netzwerke können wir dem entgegensetzen? Die Gemeinwohl-Ökonomie von Christian Felber vielleicht (https://www.ecogood.org/de/). Aber vielleicht braucht es auch noch radikalere Ansätze.

Die Eigenschaft eines Netzes: Ungenutzt ist es leer und kann – je nach Material – sogar in sich zusammenfallen. Es schreit gerade zu danach, mit etwas gefüllt zu werden – mit Sinn, mit einem Körper. Entweder, wir sind das Netz und vernetzen uns, oder wir fangen damit Fische. Das Netz gibt dem Inhalt (oder der Leere in seinem Innern) eine Form. Hier stülpt meine Tochter Lenja sich ein flexibles Metallnetz über und legt sich danach allein in eine Hängematte für drei Personen.

In „Die Form der Schönheit“ beschreibt Frank Berzbach Vernetzung als eine spirituelle Dimension der Leere, die zugleich Form ist. Diese Vernetzung „ist allerdings sehr viel tiefer gedacht – alles ist mit allem verbunden, wir können „all-eins“ werden mit der Welt, die Verbindungen in zeitlicher und sachlicher und sozialer Hinsicht erfahren“ – so, wie es Zen-Meistern und christlichen Mystikern in Stille und Meditation glückt. Und damit landen wir dann letztlich wieder beim ersten Bild dieses Blog-Beitrags, der Schönheit des vernetzten Weltalls.