Freitag, 31.8.2018: Was macht Karlsruhe so besonders?

Karlsruhe: Blick von der Bahnhofstraße in den Japanischen Garten

Den Karlsruhe Schlosslichtspielen ist es zu verdanken, dass meine Familie und ich zum ersten Mal seit langem wieder gemeinsam ins Badische fahren, mit dem Intercity diesmal. Sobald wir den Bahnhofsvorplatz überquert haben, um zur Jugendherberge zu laufen, wird alles anders, als wir es von einer Stadt mit gut 300.000 Einwohnern erwarten: Während die Stuttgarter Königstraße zum Beispiel eine belebte, gesichtslose Fußgängerzone mit Neubauten und einem Filialisten neben dem anderen ist, schmiegt sich die Karlsruhe Bahnhofstraße baumbeschattet an den Zoologischen Stadtgarten: Da gibt es zunächst einmal den Schwanensee, auf dem Boote entlangziehen, dann den Heckengarten und schließlich den Japangarten, während linkerhand ein Buddhismus-Zentrum und ruhige Wohnhäuser locken. Autos gibt es kaum, dafür jede Menge Fahrräder – Karlsruhe ist eine junge Stadt, nicht nur geschichtlich, sondern auch dank der heute hier Lebenden, eine Stadt der Studenten und der Kreativen. Das merken wir auch an den Geschäften und Cafés. Und: Es gibt noch weit mehr alte Häuser als in Stuttgart, wo man nach dem Krieg alles im Stil der 50er Jahre neubaute und vor allem: autogerecht wieder aufbaute, während die Karlsruher ihre Straßen fahrradgerecht gestaltet haben. Und tramgerecht, was gegenüber unserer Stuttgarter U-Bahn sehr nostalgisch wirkt.

Karlsruhe Nymphengarten

Nachdem wir uns in einem Familienzimmer der Jugendherberge im Norden der Innenstadt wohnlich eingerichtet haben, gehen wir zurück gen Süden zur Kriegsstraße, durch den Nymphenpark hindurch, denn hier soll es ein gutes Restaurant geben: „My Heart Beats Vegan“. Das tut es auch, nur hätten wir an einem Freitag um 18.30 Uhr besser reservieren sollen – das wirklich große Lokal ist komplett ausgebucht! Wir sind sehr enttäuscht, zumal das Essen auf den Tellern wirklich lecker aussieht.

Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als über die Kreuzstraße gen Schloss zu laufen und zu gucken, was sich links und rechts so bietet. Am Marktplatz entdecken wir eine Filiale der Edelburger-Kette „Hans im Glück“ und kehren ein. Auch dieses Lokal ist sehr groß (gehen die Badener lieber aus als die Schwaben?), und wie üblich ist die Partymusik zu laut, aber es gibt Platz für uns, und so esse ich einen veganen Burger (nicht den, den ich bestellt habe, aber immerhin) mit Salat und trinke einen leckeren Durstlöscher Erdbeer-Basilikum. Das Lokal schaut exakt so aus wie seine Zwillingsbrüder in Wuppertal und Stuttgart und versetzt einen nicht nur in die Atmosphäre des Märchens, sondern auch in die eines Birkenwaldes. Natürlich haben wir uns von Karlsruhe etwas Abenteuerlicheres erwartet, aber wir wollen den Beginn der vierten Schlosslichtspiele nicht durch noch längere Restaurantsuche verpassen.

Vom Marktplatz aus können wir schon das Schloss sehen, und trotz des Nieselregens sind bereits viele Leute dort. Wir schaffen es jedoch, Holzklappstühle in der ersten Reihe zu ergattern. Der Eintritt ist frei, aber um Spenden wird gebeten, und so kaufen wir für Tochter Lenja ein orangenes 5€-Armband in Signalfarbe.

Schlosslichtspiele: Jesper Wachtmeisters „Reflections“

Was uns dann ab 20.30 Uhr erwartet, ist wahrhaft magisch. Auf die Fassade des Schlosses werden 3D-Lasershows projiziert, die zuweilen große Kunst sind und mir immer wieder Lachen und erstaunte Ausrufe entlocken. Da schwimmen Papierfische durch das Meer, Riesen laufen herum, die Fassade wird so lange gewaschen und überschwemmt, bis das Gebäude in sich zusammenbricht, und wir tauchen ein in neue, ganz fremde, wunderbare Welten. Am besten gefallen mir die

  • Reflections“ von Jesper Wachtmeister und der Solaris Filmproduktion aus Schweden (https://vimeo.com/136217210): Ein neuer Tag beginnt im Karlsruher Schlosspark, der Markgraf fährt in einer Kutsche vor, doch wie in einem Karussell beschleunigt sich seine Fahrt und entfesselt eine wahrhaft berauschende Bilderflut –
  • sowie „Cleansing“ von Eyal Gever aus Israel (http://www.eyalgever.com/cleansing/), dessen „#Laugh“ sogar dank der NASA im Weltraum produziert wird, mithilfe eines 3D-Druckers, der auch in der Schwerelosigkeit funktioniert.

Die Lichtspiele laufen in diesem Jahr noch bis zum 9. September. Leider schwächeln Mann und Tochter, und so machen wir uns schon kurz nach 22 Uhr auf den Heimweg, während die Show noch anderthalb Stunden weitergeht. Ja, wegen der Zugfahrt und der Übernachtung war es ein teures Vergnügen, aber trotzdem jeden Euro wert!

Die Straßen zurück zur Jugendherberge haben ebenfalls etwas Magisches, so wie ich es manchmal in Turin oder Barcelona erlebt habe. Fast keine Autos sind unterwegs, und ich habe das Gefühl, sie gehörten auch gar nicht hierher in diese Wundernachtstadt.

 

Donnerstag, 30.8.2018: Unikate statt Massenproduktion

Der Donnerstag ist traditionell der dem Jupiter geweihte Glückstag. Und ich will heute über etwas berichten, was mich glücklich macht: Die Plakate des Hermann Andrea Bauer (früher: Hermann Bassé, da war er noch mit meiner ebenfalls früheren Bauchtanzlehrerin Katinka Bassé verheiratet).

Hermann Bauer wohnt bei uns in Stuttgart-Sillenbuch und malt jeden Tag ein Bild (das Projekt Tagesbilder startete schon 2011) oder Plakat. Mit derselben Intensität ist er Schauspieler und Musiker (Gitarrist).

Dank Hermann Bauer haben wir das Glück, dass auf Veranstaltungen bei uns im Stadtteil (vor allem die im Clara-Zetkin-Haus) mit höchst individuellen Plakaten aufmerksam gemacht wird – sind sie nicht wunderschön?

 

Mittwoch, 29.8.2018: Agathe Tyche – das gute Glück

Tyche von Antiochia, Eutychides, ca. 3. Jh. v.u.Z.

Was den Römern die Göttin Fortuna, das war den alten Griechen Tyche – Tochter der Aphrodite und Göttin des durchaus wandelbaren Glücks, den Menschen nicht unbedingt und immer wohlgesonnen, wie die Statue oben zeigt (der Mensch, auf den sie tritt, ist der personifizierte Fluss Orontes).

Deshalb galt es, sie zu besänftigen – nach dem Mahl wurde ihr zusammen mit dem Agathos Daimon, dem guten Geist des Hauses, unter Segensformeln eine Weinspende dargebracht.

Agathe Tyche, das ist aber auch im Jahre 1777 der „Stein des guten Glücks“, den Goethe als Denkmal in seinem Garten im Weimarer Ilmpark setzen ließ. Er ist eines der ältesten, wenn nicht das älteste abstrakte Kunstwerk in Deutschland – hier eine einfache Zeichnung:

Das Monument besteht aus einem 90x90x90 cm großen, männlich-ruhendem Würfel aus dunklem Stein, auf dem eine fast ebenso große Kugel quasi schwebt – Symbol seiner Liebe zur verheirateten Charlotte von Stein und Ausdruck seines Glücksempfindens in diesem Haus und in diesem Garten.

Eine schnurgerade Malvenallee hin zu dem Rondell. Das Podest, auf dem das Denkmal steht, ist auf einer Seite etwas breiter: Hier soll sich der Besucher hinstellen, mitten ins steinerne Heiligtum für die Frau von Stein, mit Blick ins Ilmtal.

Heutzutage berühren Besucher die Kugel, um sich ein bisschen Glück mit nach Hause zu nehmen.

Wenn Sie mehr über Goethes Gärten in Weimar erfahren möchten, dann sei Ihnen das Buch „Der Garten am Haus – Thüringer Kleinode zwischen Zierde und Nutzen, Band 1: Historische Gärten“ von Annette Seemann und Constantin Beyer empfohlen, © VDG Weimar 2015.

Fr, 24.8. – Mo, 27.8.2018: Greiz – Vom Hässlichen zum Schönen


Hier ist es schön: Blick aus unserer Dachgeschoss-Ferienwohnung auf die Greizer Neustadt

Am Freitag sind meine Familie und ich wieder nach meiner Morbus-Sudeck-Behandlung im Krankenhaus mit einem Mietwagen ins ostthüringische Greiz gefahren. Durchaus schwierig, eine Unterkunft zu finden, alles einigermaßen Bezahlbare schien ausgebucht, aber schließlich kamen wir doch in einer netten Dachgeschosswohnung in der Neustadt unter, mit einem phantastischen Preis-Leistungs-Verhältnis.

Der Grund für unser Kommen: Wir haben endlich von der Stadt die Erlaubnis bekommen, die Wohnung unseres letzten, bereits Ende Mai verstorbenen Mieters zu räumen. 69 Jahre ist der Mann alt geworden, er war Alkoholiker, Kettenraucher und litt unter dem Vermüllungssyndrom. Ich habe noch nie so ein ekelhafte Wohnung betreten, geschweige denn ausgeräumt, trotz Atemschutz und Ganzkörperkondom à la Tatortreiniger – den Gestank atme ich ein, und er hängt auch zum Schluss in meinem schwarzen gewachsten Rock fest. Und: Die Wohnung lebt. Verschimmelt ist eh alles auf den ungewaschenen Tellern und in den ebenso ungewaschenen Töpfen, der Schimmel ist sogar schon eingetrocknet. Nachdem ich auf den Eiern im Kühlschrank hunderte von quicklebendigen Maden entdeckt und einmal „Hilfe!“ gerufen habe, versiegeln wir ihn mit Panzerband, bevor wir ihn transportieren.

Samstag und Sonntag brauchen wir, um alles in Schwerlastsäcke zu packen (ich) und die Möbel klein zuschlagen (mein Mann Klaus) und vor das Haus zu tragen – unsere Tochter Lenja lassen wir lieber mit dem Allessauger in den anderen Stockwerken saugen und später wischen, zu groß ist mir als Mutter das Gesundheitsrisiko für mein Kind.

Sehr einsam sei er gewesen, sagt eine Nachbarin mit kleinem Hund, drei Entziehungskuren habe er gemacht, sie habe ihn einmal in seiner Wohnung besucht, er habe ihr leid getan, aber sie beneide uns nicht um unsere Aufgabe. Wann kippt es bei einem Menschen? Was genau ist ihm widerfahren? Er hatte zu DDR-Zeiten viele Preise gewonnen im Federball und Tischtennis und auch im Angeln, war Maschinenbaumeister, Unteroffizier, NDPD-Mitglied (ging nach der Wiedervereinigung in der FDP auf), Gewerkschaftsmitglied und irgendwann auch einmal verheiratet. Nach der Wende: Keinerlei Urkunden mehr. Später gab es dann eine Helga, die im Stockwerk unter ihm wohnte und von der er noch drei Namensbecher hatte. Sie starb in jungen Jahren 2005. Wann ist es gekippt: Nach der Wende? Oder als Helga starb? Wann zerbricht ein Mensch? Wie kann ein Mensch so unglücklich werden? Und wo hat die Stadt ihn eigentlich begraben?

Für den Montag haben wir einen Zehn-m³-Mischcontainer bestellt, aber der erweist sich als zu klein, wir brauchen die doppelte Menge. Um 16 Uhr ist alles in den Containern, wir dürften sogar noch etwas Elektroschrott obendrauf packen, aber dann müsste man wieder hin- und herräumen, denn wegen der Oberleitungen im Stadtteil soll nichts überstehen, und wir sind alle mit unseren Kräften am Ende.

Wir waren in der ganzen Zeit dankbar für die gute Dusche in unserer Ferienwohnung, für das Bio-Essen von Aldi (der Greizer Biomarkt hatte am Freitag leider schon vor unserer Ankunft geschlossen und ist samstags eh zu) – und nach unserer Montagsaktion schließlich für Waffeln-mit-Heidelbeeren und mehr im Eiscafé Doimo, das wir schon von unserem letzten Aufenthalt kannten. Dann heißt es noch Greizer Sekt und Grün-Bitter aus dem ebenfalls vogtländischen Reichenbach für unseren Vermieter besorgen, der während unserer Abwesenheit sich um Katze Kalas gekümmert hat – und zurück geht es nach Stuttgart. Auf unserem Weg von einem stark sanierungsbedürftigen Doppelhaus zu einem Ökoglückshaus Greiz sind wir ein gutes Stück weitergekommen.

Und noch ein Positives hat dieses Horror-Wochenende (das ich vermutlich mein Lebtag nicht vergessen werde): meine Hand ist deutlich beweglicher – und ich konnte sogar das Opiat um weitere 33% verringern. Vielleicht sollte ich häufiger Entrümpeln….

Freitag, 24.8.2018: Frida Kahlo, das Lapidarium und die Zacke

Obwohl noch nicht der Día de los Muertos ist, der mexikanische Allerseelentag am 2.11., besuchte uns gestern die verstorbene Frida Kahlo in Stuttgart. Genauer gesagt, kam sie ins Lapidarium in der Mörikestraße geflogen, jenem eigentümlichen Garten, der voller Statuen und Steinfragmente steckt – von der Antike bis ins frühe 20. Jahrhundert.

Der ehemalige römische Garten der Villa Ostertag-Siegle beherbergt neben vielen anderen Dannecker berühmte Nymphengruppe mit Sitzplatz unter Ahörnern und Blick auf eine Wandelhalle mit Gräberfunden aus römischer Zeit, Pan, Putten und einer Kopie des Apollos von Belvedere (das Original besitzt die katholische Kirche, der Vatikan).

Über diesen Apollo äußerte Goethe einst, er übersteige alle Denkbare und habe ihn aus der Wirklichkeit hinaus gerückt – von daher verwundert es also auch nicht, dass wir hier der 1954 gestorbenen Malerin Frida und und ihrem Gitarre spielenden und singenden, langhaarigen, platonischen Freund Pedro begegnen. Zumal sie zu Baden-Württemberg eh eine innige Beziehung hatte – ihr Vater war gebürtiger Pforzheimer.

Eingeladen haben die K21-Anstifter zusammen mit dem StadtPalais – Museum für Stuttgart, und so viele sind gekommen, dass immer neue Stühle und Bänke herbeigeholt werden müssen. Eine Schauspielerin, Tänzerin, Verwandlungskünstlerin und Sängerin mit dem Namen Eunike Engelkind, die schöne, gute Siegesgöttin, Kind eines Engels, stellt passenderweise Frida dar, in bunten Kleidern, wie Frida sie geliebt hätte, grellbunt, wie Frida Farben mochte, und fragt uns: „Wozu brauche ich Füße, wenn ich Flügel habe?“ Die Flügel brauchte Frida tatsächlich, um sich mit ihren dauernden, grausamen Schmerzen zu verbünden, die sie seit einer Kinderlähmung plus einem grauenvollen Verkehrsunfall mit 18 Jahren bis zu ihrem Tod mit nur 47 Jahren täglich quälten – 1953 musste ihr sogar das rechte Bein amputiert werden. Eine rebellische Kommunistin blieb sie trotzdem, bis zum Schluss, und zwischendrin war sie auch die Geliebte Trotzkis. Was für ein gutes Vorbild für mich Morbus-Sudeck-Geplagte!

Fridas letztes Bild zeigt Wassermelonen auf brauner Erde vor blauweißem Himmel, köstliche, duftende Wassermelonen, und auf der ganz vorne, in der Mitte steht: „VIVA LA VIDA“. Das Rebellisch-Trotzige „Es lebe das Leben“, vor der harmonischen Frühabendstimmung im Lapidarium. Es ist noch hell, aber der Mond schon aufgegangen, als wir nach Ende der Vorstellung mit einem der zwei schönsten öffentlichen Verkehrsmittel Stuttgarts vom Marienplatz nach Degerloch fahren: mit der Zahnradbahn, hier liebevoll Zacke genannt, Aussicht auf Stuttgart gibt es gratis dazu. Viva la vida!

 

Donnerstag, 23.8.2018: Die Form der Schönheit

Welche Form hat die Schönheit eigentlich? Wie kann sie zu einer Quelle der Lebenskunst werden? Und wie lässt sich Schönheit im Alltagsleben verwirklichen? Diesen Fragen geht der Kölner Autor Frank Berzbach in einem kürzlich bei Eichborn erschienen und schön gestalteten Essay (mit Lesebändchen, welch ein Luxus!) nach.

Viele Bereiche macht er aus, in denen sich Schönheit verwirklichen lässt, einer davon ist das Heilige, Sakrale, während er bemängelt, dass die Kunstproduktion der Jetztzeit sich häufig nicht mehr mit dem Schönen, sondern ab und an sogar mit dem Hässlichen beschäftigt.

In Opposition zur Schönheit stehen für ihn Lärm, Zerstörung und Rausch, Computerspiele, Krieg, Aggression und Folter. Um so mehr erstaunt sein Faible für Herrenmagazine und den Lebensstil ihrer Herausgeber sowie für Pin-ups, die ja nun genau mit Krieg (Pin-ups auf Bombern) und Aggression gegen Frauen (Vergewaltigung durch Soldaten) jedwede Menge zu tun haben. Was nutzt Schönheit, wenn sie zur Ware verkommt, und eine Marilyn Monroe (die auch als Pin-up posierte) am Ende ihres kurzen Lebens, von Drogen zerstört, Selbstmord begeht, falls sie nicht doch ermordet wurde? Die Herausgabe von Herrenmagazinen und Modezeitschriften mag es den Herausgebern ermöglichen, ein schönes Leben zu führen – für Models ist fast immer das Gegenteil der Fall. Übrigens: Die dort verwendeten „schönen“ High-Heels ruinieren jeden Frauenfuß ohne Ausnahme nachhaltig, die orthopädischen Probleme und die Schmerzen im Alter sind immens – und was haben deformierte Füße (wo Herr Berzbach doch behauptet, gegen Schönheits-OPs zu sein) und Schmerzen mit einem Leben in Schönheit zu tun? Müssen die high-heels-deformierten Frauen dann die Orte der Berzbachschen Schönheit und der Foucaultschen Heterotropien verlassen?

Warum sich Berzbach zur selben Zeit über Pin-ups in der Kirche entrüstet (genauer gesagt: über den Auftritt von Pussy Riot in einer russischen Kirche zum Ärger Putins), das entzieht sich nun vollständig meinem Verständnis, denn zumindest sind diese Frauen doch schön, sogar sehr schön und die Kleiderausschnitte tief, es gibt sogar den Ansatz eines Can-Cans, auch wenn die Worte des Punk-Gebets selbst nicht ästhetizistisch-schön, sondern eben wahr und politisch sind (https://www.youtube.com/watch?v=grEBLskpDWQ). Wahrheit und Liebe, sagt Herr Berzbach, seien untrennbar mit Schönheit verbunden. Stört es ihn etwa, dass die Frauen ihre Gesichter verhüllt haben? Aber das kommt in den Herrenmagazinen doch auch vor! Oder liegt es daran, dass man, spießbürgerlich betrachtet, einfach nicht tut, was Pussy Riot getan hat? Oder sollte es Herr Berzbach sein, der bestimmt, was politische Wahrheit und damit schön ist?

Kommen wir zu dem, was Frank Berzbach außer Pin-ups noch liebt: die Schönheit von Fahrrädern, Schallplatten und Plattenspielern, Bücher, Jazz, Füllhalter und Bleistifte, Papier und Notizbücher, Tätowierungen (übrigens in der Ethnologie ein Zeichen für gewalttätige Kulturen – Menschen müssen dafür Schmerz ertragen können und üben damit schon mal für den Krieg mit den Nachbarn – ich mag sie als Ethnologin deshalb nicht), Kirchen, Klöster, Museen und Hotels, Schuhe und das Meer, inhabergeführte Ladengeschäfte, Tee- und Kaffeehäuser. Bis auf die Tätowierungen kann ich ihm da wieder folgen.

Berzbach behauptet, dass nur wenige Frauen Jazz mögen, und wird sich freuen zu hören, dass ich eine davon bin – vielleicht dank meines verstorbenen Vaters, der mich schon früh in Konzerte zum Beispiel des United Jazz & Rock Ensembles mitnahm. It‘s the Bourbon Skiffle Company, allways happy, happy as can beeeee…. Am meisten schätze ich den Cross-over zwischen Jazz und Weltmusik.

Wir besitzen in der Familie kein Auto, sondern benutzen Fahrräder, öffentliche Verkehrsmittel und unsere Füße – und haben sogar unseren Vermieter überzeugt, es uns gleich zu tun.

Stattdessen besitze ich noch eine ganze Reihe von Schallplatten und einen halbautomatischen Plattenspieler. Aber ich höre auch CDs und SWR2 (und ganz manchmal Klassik Radio, das mir aber auf Dauer zu platt und zu sehr von Werbung verseucht ist – was dem Konzept von „Klassik zum Wohlfühlen“ massiven Abbruch tut, jedenfalls was mein Wohlgefühl anbelangt).

Als Germanistin und Verlagskauffrau liebe ich selbstverständlich Bücher – eine Zeitlang war ich sogar Mitglied bei den Bücherfrauen. Vor allem liebe ich auch schön gemachte Bücher, solche, die Buchpreise für ihre Gestaltung gewinnen. Oder die Bücher (und T-Shirts) der Buchkinder Leipzig (https://www.buchkinder.de/die-idee/). Ich habe noch kein einziges Buch online gelesen, obwohl mein eigener Kräuterkrimi online bei Amazon publiziert worden ist – mir fehlt dabei das Haptische (https://www.amazon.de/Alraunen-Galgenbuckel-Ein-Stuttgarter-Kr%C3%A4uterkrimi-ebook/dp/B01H25SY7Q/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1535022139&sr=8-1&keywords=Alraunen+am+Galgenbuckel).

Ich besitze ebenfalls viele Bleistifte und einen Füllfederhalter (und spiele gerade mit dem Gedanken an den Kauf eines zweiten als Ersatz für den kaputt gegangenen). Papier und Notizbücher gehören dazu.

Über Kirchen, inhabergeführte Ladengeschäfte und Museen habe ich schon auf diesem Blog berichtet – das Meer wird dazukommen, sobald wir wieder einmal dorthin fahren, denn am liebsten würde ich am Meer wohnen, zum Beispiel in Flensburg oder Lübeck.

Und es wird es Herrn Berzbach auch freuen, dass ich gestern im Harry‘s gesessen und Leute geguckt habe. Das Harry‘s ist eine Kaffeerösterei in der Stuttgarter Eberhardstraße. Hier wird einem der doppelte Espresso an der Theke serviert mit einem Glas stillen Wasser und einem Täfelchen Zartbitterschokolode mit Kakaosplittern, dazu habe ich noch einen Tartufo dolce Menta von Tartuflanghe genossen – und später für meinen Mann als Freitagsgeschenk noch Erdbeerpralinen erstanden, die unter der schönen Bezeichnung „Frucht & Sinne – Leidenschaft“ verkauft werden und Fairtrade sind. Kein Caféhaus im engeren Sinne, aber eben ein inhabergeführtes Kaffeehaus mit eigener Philosophie: https://harrys-kaffee.de/philosophie/

Ach ja, und die Schuhe: Heute wurde mir netterweise ein neues Paar zum Anprobieren zugeschickt, weil es im Laden gerade nicht vorrätig war. Ich bin gespannt…

Aber ist das alles, worum es bei der Schönheit des Alltags geht? Ja, Herr Berzbach erwähnt auch die Kreativität, und immerhin hat er ja ein Buch geschrieben, das ist doch schon mal was. Ja, und er erwähnt auch die Meditation und das Heilige. Trotzdem bleibt er mir zu sehr an der äußeren Form hängen und kommt zu wenig auf die innere Form der Schönheit zu sprechen. Ich vermute nämlich, dass es eine innere Form der Schönheit gibt, und dass ich irgendwann in diesem Blog nicht mehr nur über die Schönheit des Zitronenfalters sprechen werde, der gerade kurz an mein Fenster geflogen ist, bevor er weitergegaukelte. Ein Gedicht vermittelt etwas von dieser inneren Schönheit, manchmal ein Musikstück oder ein Gemälde. Und trotzdem ist es nicht einfach der Goldene Schnitt (den Berzbach in seinem Essay übrigens nicht erwähnt) oder irgend eine Technik, die etwas zu etwas Schönem machen.

Es ist ein eher ein inneres Leuchten und Strahlen. Die drei Frauen von Pussy Riot haben es übrigens, in ihren Gesichtern, dieses Leuchten (https://de.wikipedia.org/wiki/Pussy_Riot). Und vielleicht hätte die russische Christ-Erlöser-Kirche auch solch ein Leuchten, wenn sie kein Dach hätte, sondern nach oben offen wäre, zum Himmel hin, wo nach christlichem Glauben Gott sitzt.

Affektiertheit“, schreibt Herr Berzbach am Ende, „ist niemals schön und Schönheit ist immer unergründlich tief.“

Herr Berzbach wirkt durch seinen Text und seine Webseite auf mich wie ein dem Ästhetizismus verhafteter Mensch, wie ein Dandy des 21. Jahrhunderts und ein Flaneur, der trotz seiner Zen-Meditationen leider immer noch die Form der Schönheit der Lebenskunst über ihren Inhalt stellt. L’art pour l’art eben. Mein Leben ist jedoch nicht schön, weil ich in einem Kaffeehaus sitze, gut angezogen und umgeben von schönen Menschen. Sondern es speist sich zum Beispiel auch aus der Schönheit des Widerstands – auch im Alltag – und der hat eine ganz andere Form.

Aus diesem Grunde ziert nicht Herrn Berzbachs Buchcover diesen Blogbeitrag, sondern ein Foto von frischen, noch ungerösteten Kaffeebohnen.

Mittwoch, 22.8.2018: Das Wunder von Mals

Ein Dorf trotzt der Agrarindustrie: „Wir befinden uns im Jahr 2015. Ganz Südtirol wird von Apfelmonokulturen überrollt und in Pestizidwolken gehüllt. Ganz Südtirol? Nein! Eine Handvoll unbeugsamer Vinschger kämpft mit Erfolg für eine pestizidfreie Gemeinde Mals. Man wehrt sich mit einem Feuerwerk der Ideen gegen eine übermächtige Lobby aus Obstbauern, Bauernbund, Landesregierung und Pharmaindustrie.“ So startet der Trailer zu einem neuen Dokumentarfilm von Alexander Schiebel (Verleih: Wunderfilm, © 2018), der komplett durch Crowdfunding und mit Unterstützung des Umweltinstituts München finanziert wurde. Das gleichnamige Buch zum Film ist bereits Ende 2017 beim oekom-Verlag München erschienen (ISBN-13: 978-3-96006-014-7), und den Newsletter mit wöchentliche Updates über das Projekt erhält mensch über die Wunderwerkstatt in Meran.

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Die rund fünftausend Menschen in Mals empfinden sich als kleines, gallisches Dorf im oberen Vinschgau – ganz im Westen Südtirols. „Und wie das Spiel ausgeht: Das werden wir vielleicht bei Asterix und Obelix nachlesen können,“ erklärt der örtliche Tierarzt. Der Apotheker neben ihm lacht und meint, dass sie natürlich nicht verraten werden, dass sie den Zaubertrank von Miraculix besitzen…

Betttuchaktion der Malser Frauen

Ich hatte das Buch schon zu Weihnachten gelesen und war gespannt auf den Film. Mein Mann und Klaus und ich sind nun heute ins Arthaus-Kino atelier am bollwerk gefahren, wo er auf Anregung von und in Kooperation mit der Stuttgarter Slow-Food-Gruppe gezeigt und hinterher diskutiert wird. Gleich haben wir natürlich auch einen Bekannten aus der Stuttgarter K21-Bewegung getroffen – und so einiges an Widrigkeiten, mit denen die Malser zu kämpfen haben, kommt auch uns bekannt vor…

Den Zaubertrank von Miraculix, den werden die tapferen Malser tatsächlich brauchen, denn mittlerweile sind alle „Rädelsführer“ angeklagt und können nur hoffen, dass die nächste Instanz in Rom einsichtiger sein wird als die Südtiroler Landesregierung in Bozen. Das Verbrechen der Malser: Sie haben – wohlgemerkt in Übereinstimmung mit der örtlichen Gemeindesatzung – eine Volksabstimmung durchgeführt, bei der sich 75,8% der Wahlberechtigten für ein pestizidfreies Mals ausgesprochen haben (Wahlbeteiligung: 70%). Und das wollen sie nun eben auch durchsetzen. Eine Volksabstimmung mag zwar in der Verfassung der Gemeinde Mals stehen, Unrecht ist sie trotzdem, wettern Bauernverband und Landesregierung – denn mit Pestiziden verseuchte Südtiroler Äpfel, daran verdient man einfach mehr. Und gleich haben Unbekannte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einem Malser Biobauern Glyphosat auf die Obstbäume gespritzt. Alle Blätter sind abgefallen beziehungsweise hängen braun-verbrannt traurig ihre Blattspitzen nach unten – und der Mann darf für seine Meinungsäußerung vielleicht Konkurs anmelden.

Bei unserem letzten Urlaub in Südtirol konnte ich sie zwischen Bozen und Meran vom Linienbus aus vorbei flitzen sehen, die Obstmonokulturen. Meere aus Betonpfeilern, ein Baum wie der andere, keinerlei Vielfalt mehr. Das ist hässlich. Die Pestizide, die lagern sich sogar in den Sandkästen der Kinder der Bauern ab. Und das ist NICHT alternativlos, wie die Malser uns überdeutlich zeigen. Nur wollen die konventionellen Bauern es nicht hören – obwohl sie sie selbst mehrfach pro Woche einatmen und sich selbst und ihre Angehörigen damit vergiften. Langsam und stetig. Wie so häufig: Die Angst vor dem eigenständigen Denken scheint größer zu sein als die Angst vor Krebs (jeder Zigarettenraucher beweist es täglich).

Dass gemeinsamer Widerstand glücklich und schön macht, das sieht man wiederum den Malsern an: Trotz aller Probleme wird viel gelacht in diesem Dokumentarfilm – und das Strahlen, das reicht hinein bis in die Fältchen um die Augen herum.

Wer sich am Crowdfunding beteiligen möchte (einige Rechnungen sind noch offen): http://wundervonmals.com/crowdfunding/

Montag, 20.8.2018: Schön vernetzt

Wärmeentwicklung des Weltalls vom Urknall bis heute
Das gesamte Video zum Downloaden unter: http://www.illustris-project.org/movies/illustris_movie_dome4k_gastemp_preview.mp4

Ist es nicht schön, unser Weltall? Alles hängt mit allem zusammen. Das Video ist Teil der Ausstellung „Netzwerk“ in der Stuttgarter ifa-Galerie (noch bis zum 16. September 2018, Eintritt kostenlos).

Das ifa selbst ist Teil eines Netzwerkes, denn die Abkürzung steht für das Institut für Auslandsbeziehungen am Charlottenplatz, und was sind Auslandsbeziehungen anderes als das Schaffen weltweiter Netzwerke?

Es gibt viele Netze, schöne, handwerklich geknüpfte Fischernetze, aber auch die globalen Firmennetzwerke der Mega-Kapitalisten von Nestlé bis Procter & Gamble, schwer zu durchschauen für diejenigen, die sich nicht in den Netzen der Superreichen und -mächtigen verfangen wollen.

Vernetztes Denken, das war es, was wir Jugendlichen in den 70er Jahren gerne dem linearen Denken und der Umweltzerstörung entgegenstellen wollten – zumindest die wenigen von uns, die damals „grün“ dachten und Klassenausflüge in das AKW Biblis zwecks Demonstration, wie sicher diese Technologie ist, infrage stellten.

Geändert hat sich (bis auf ein paar grüne Mäntelchen hier und da und das sog. Greenwashing) wenig: Wir steuern weiterhin frohen Mutes auf die Klimakatastrophe zu – dieser Sommer war bisher wärmer als alle vorhergehenden.

Welche alternativen Netzwerke können wir dem entgegensetzen? Die Gemeinwohl-Ökonomie von Christian Felber vielleicht (https://www.ecogood.org/de/). Aber vielleicht braucht es auch noch radikalere Ansätze.

Die Eigenschaft eines Netzes: Ungenutzt ist es leer und kann – je nach Material – sogar in sich zusammenfallen. Es schreit gerade zu danach, mit etwas gefüllt zu werden – mit Sinn, mit einem Körper. Entweder, wir sind das Netz und vernetzen uns, oder wir fangen damit Fische. Das Netz gibt dem Inhalt (oder der Leere in seinem Innern) eine Form. Hier stülpt meine Tochter Lenja sich ein flexibles Metallnetz über und legt sich danach allein in eine Hängematte für drei Personen.

In „Die Form der Schönheit“ beschreibt Frank Berzbach Vernetzung als eine spirituelle Dimension der Leere, die zugleich Form ist. Diese Vernetzung „ist allerdings sehr viel tiefer gedacht – alles ist mit allem verbunden, wir können „all-eins“ werden mit der Welt, die Verbindungen in zeitlicher und sachlicher und sozialer Hinsicht erfahren“ – so, wie es Zen-Meistern und christlichen Mystikern in Stille und Meditation glückt. Und damit landen wir dann letztlich wieder beim ersten Bild dieses Blog-Beitrags, der Schönheit des vernetzten Weltalls.

 

Sonntag, 19.8.2018: Im Dornröschenschlaf – Das Stuttgarter Bohnenviertel

Eingezwängt zwischen der vielstspurigen Hauptstätter- und der ebenfalls dicht befahrenen Olgastraße, nach dem Zweiten Weltkrieg dank der autoaffinen Stadtplaner von Schlossgarten und Königstraße ebenso chirurgisch sauber abgetrennt wie die Stuttgarter Museumsmeile, ist der einzig erhaltene Teil unserer historischen Altstadt von vielen vergessen worden.

Schon im 15. Jahrhundert entstand das Bohnenviertel als erstes Wohnquartier außerhalb der Stadtmauer. Benannt wurde es nach den Kletterbohnen, die die hier ansässigen kleinen Handwerker und Weinbauern in ihren Gärten anpflanzten und die girlandenartig an den Häusern hingen. Bohnen sind im Bohnenviertel inzwischen selten geworden, doch sein Charme hat sich erhalten, und auch die neueren Bauten passen sich zumeist behutsam seinem Flair an.

Mich verbindet viel mit diesen wenigen Straßenzügen: Sie gehörten mit zum ersten, was mir meine Vorgängerin bei Thieme zeigte, die gerne in Ruhestand gehen wollte, sich aber nicht sicher fühlte, ob ich als Neubürgerin der Stadt wohl treu bleiben würde. Nun, ich bin geblieben, mittlerweile seit dem 1. April 1997 – und das war kein Aprilscherz.

Ich denke an den koscheren New Yorker Kollegen, der dringend von mir wissen wollte, wo das Stuttgarter Rotlichtviertel liegt – hinter der Leonhardskirche, vom Bohnenviertel aus gesehen. Wir fanden es nicht.

Ich denke an die ersten katholischen Kita-Erfahrungen unserer Tochter Lenja in der Olgastraße – zumindest bis zu ihrem dritten Geburtstag positiv, erst danach waren wir froh, als wir endlich einen Montessori-Kindergartenplatz für sie auf der Waldau ergatterten. Aber zuvor haben wir noch mitgeholfen, die Fassade der „Wilden Hilde“ mit Mosaiken zu verschönern, mein heutiger Mann Klaus hat das Clownsgesicht gestaltet, ich die rote Spirale auf grünem Grund.

Ich denke an meine Ausbildung zur Märchenerzählerin durch den Stuttgarter Märchenkreis – sie fand in den Räumlichkeiten des Waldorfkindergartens Allerleirauh statt, in der Rosenstraße. Auch so ein verzaubertes und verwunschenes Mädchen, die Allerleirauh, ebenso wie Dornröschen und das ganze Viertel.

Ich denke an die Hochzeit mit Klaus und Lenja (die tatsächlich die Heiratsurkunde mit unterschreiben durfte) – wir feierten am Valentinstag 2014 im Zauberlehrling ebenfalls in der Rosenstraße, einem der besten Restaurants Stuttgarts.

Ich denke an meine Suche nach einer passenden Lokalität für mein geplantes Kräutercafé – eine Zeitlang glaubte ich, es im Bohnenviertel gefunden zu haben, aber der verlangte Preis war zu hoch.

Das Bohnenviertel ist wunderbar kreativ, hier gibt es Goldschmiede mit ganz ausgefallenen Ideen, in der Olgastraße einen der schönsten Blumenläden Stuttgarts, schräg gegenüber die „Pappnase“, ein Laden für Jonglier- und Zirkusbedarf. Verschrobene Antiquitätenläden, kleine Modeateliers, das Café Königx als altgediente Institution im blaugoldenen Design und selbstverständlich das Stuttgarter Schriftstellerhaus in der Kanalstraße, in dem Stipendiaten wohnen und regelmäßig Lesungen stattfinden, die nächste am 14. September über die Literatin Annette Kolb.

Und es gibt Mooswände (s.o.), die die Stadt Stuttgart am Charlottenplatz aufgestellt hat, um das Feinstaubs Herrin zu werden – freundlicherweise gleich mit Holzbänken versehen.

Am anderen Ende des Bohnenviertels, am Schellenturm, wird Glück gewünscht. Es ist ein hübsches Fachwerkgebäude, leider mit düsterer Vergangenheit – früher diente es als Gefängnis.

Auch heute entdecken wir etwas Neues: das Bistro-Restaurant „Die Wunderkammer“, mit viel Bio im Angebot. Wir sitzen daußen unter bunten Südsee-Bast-Sonnenschirmen und genießen unter anderem eine „Morgenfreude“ (das ist ein Croissant mit Aprikosenmarmelade) und eine hausgemachte Himbeerlimonade. Dass ich Veganerin bin, bereitet überhaupt keine Schwierigkeiten, der Papaya-Mango Salat mit Cashewkernen, Koriander, geröstetem Sesamöl und Stauferico-Schinken mit hausgemachtem Bananenbrot wird einfach ohne den Schinken serviert und ist extrem lecker. Und dass die Südcola vom Hersteller mit Vitamin C angereichert ist, dafür können sie nichts. Dazu eine sehr nette Bedienung (Simone) nebst einem jungen Mann mit schönen Hosenträgern. Wir freuen uns, wenn Ihr unsere Wunderkammer ein Stück glücklicher verlasst, als Ihr hineingegangen seid“, schreiben sie auf ihrer Webseite – und das tun wir tatsächlich: https://www.wunderkammer-stuttgart.de/

Samstag, 18.8.2018: Sternenjäger

Gestern waren mein Mann Klaus im Lubitsch-Saal des Stuttgarter Delphi Arthaus Kinos und haben einen wunderbaren Dokumentarfilm gesehen – Sternenjäger. Sternenjäger, das sind eine Handvoll Männer und eine Frau, die sich der Astrofotografie verschrieben haben – Fotos vom Nachthimmel, oder aber, als Schattenjäger, der Fotografie von Sonnenfinsternissen.

Der ungetrübte Blick in den Sternenhimmel ist im Zeitalter extensiver Beleuchtung nur in den entlegensten Gegenden möglich – in Stuttgart sehen wir nur sehr wenige, helle Sterne am nächtlichen Himmel. Die international renommierten Astrofotografen im Film zieht es deshalb an Orte, an denen das Licht unserer Zivilisation die Sterne nicht verblassen lässt: Sie gehen auf die Jagd nach Meteoritenschauern in den australischen Outbacks, sie reisen auf der Iceroad zu den Polarlichtern Nordkanadas, in die Atacama Wüste und auf die Hochebenen bis über 5000 Meter nach Chile. Weitere Expeditionen führen sie nach Dänemark und ins winterliche Norwegen auf der Suche nach geheimnisvollen Lichtern und zur totalen Sonnenfinsternis auf die indonesischen Molukken. Auf ihren Reisen treffen die Fotografen auf die Ureinwohner der Regionen (wie z.B. die Sami in Norwegen) und erfahren viel über die Bedeutung des Sternenhimmels in deren Kultur, müssen aber auch immer wieder mit vielen Hindernissen und Widrigkeiten kämpfen und verbringen Nächte in der Wildnis. Belohnt werden die Sternenjäger mit unglaublich schönen Landschaften und den atemberaubenden Himmelsbildern, die sie mit ihren Kameras einfangen.

Von solchen Hindernissen und Widrigkeiten kann auch ich berichten, denn bei unserer Januarfahrt auf dem Postschiff von Bergen bis hinauf zum Nordkap vor etwa zwölf Jahren haben wir kein einziges Polarlicht gesehen – der Himmel war einfach immer wolkenverhangen. Mehr Glück hatte ich ungewöhnlicherweise ein paar Jahre früher im September auf Island – zweimal habe ich Nordlichter gesehen, so grün und schön, dass mir die Tränen in die Augen stiegen.

Der jetzige Film lehrt, dass wir eigentlich, von der Voyager aus betrachtet, nur ein weißer Punkt im Weltall sind (wie wichtig können wir dann noch sein?). Oder dass es Dunkelwolken gibt, also Sternbilder, die sich nicht aus den Sternen zusammensetzen, sondern aus der Dunkelheit zwischen ihnen. So entdecken die Chilenen zum Beispiel ein Lama in unserer Milchstraße, und die australischen Aborigines einen Emu. Gemacht aber sind wir alle, Europäer wie Aborigines, aus Sternenstaub, denn ursprünglich ist alles Leben einmal aus den Wasserstoff-Atomen unserer Sonne entstanden. Und ist es nicht wundervoll zu wissen, dass wir: STERNENSTAUB sind?

© des Films Deutschland 2017
freigegeben ab 0 Jahren
Regie: Christian Schidlowski, Rohan Fernando, Hannah Leonie Prinzler, Sebastian Kentner, Johannes Backes
Sprecher: Rufus Beck