Donnerstag, 9.8.2018: Lachyoga

Seit einem Monat bin ich zertifizierte Lachyoga-Leiterin der „Laughter Yoga International University“ – ein kleiner Baustein meines Heilpraktikerinnen-Studiums. Demnächst werde ich nun hier in Stuttgart Lachyoga anbieten. Aber was ist das eigentlich, Lachyoga? Nun, zu allererst: Es sind Übungen, die glücklich machen!

Erfunden hat sie 1995 ein indischer Arzt, Dr. Madan Kataria, der feststellte, dass Kinder zwar rund dreihundert Mal am Tag lachen – Erwachsene aber nur noch zehn Mal: Und raten Sie, wer glücklicher ist!

Inzwischen gibt es Lachyoga-Gruppen in rund 60 Ländern auf der Welt. Beim Lachyoga erfreuen wir uns nicht an einem gelungenen Witz, sondern wir lachen einfach so, ohne Grund, mit voller Absicht. Das wirkt in den ersten Sekunden etwas gekünstelt, aber dem Körper ist es völlig egal, ob ein Lachen natürlich ist oder nicht, er setzt Endorphine frei, körpereigene Opiate, die Schmerzen stillen und uns glücklich und gesünder machen – und manchmal sogar ganz gesund. Und irgendwann steckt uns das Lachen in der Gruppe an, wir möchten uns am liebsten ausschütten vor Lachen und uns auf dem Boden wälzen.

Also am besten jeden Tag Lachyoga machen, zehn bis dreißig Minuten reichen; allein geht es auch, aber in der Gruppe ist es schöner, zum Beispiel in einem örtlichen Lachclub, demnächst auch in Stuttgart-Sillenbuch! Bei Interesse melden Sie sich einfach bei mir unter barbara@pfeiferin.de.

 

Mittwoch, 8.8.2018: Blumenhäuser

Akanthus-Ornament am Haus Hackstr. 78

Warum schmücken wir unsere Städte so wenig mit Blumen? Im 19. Jahrhundert wurden die Häuser zumindest noch mit steinernen Blumen verziert – wir hier auf dem Foto aus der Umgebung des Stuttgarter Karl-Olga-Hospitals, welches selbst noch florale Elemente präsentiert.

Noch schöner als die steinernen Blumen sind Häuser, die unter überbordenden echten Pflanzen fast verschwinden mögen.

Ich erinnere mich an ein Jazz-Festival in Wales, das Städtchen nahm an einem Wettbewerb zum schönsten Dorf der Region teil, und das war es auch wirklich – jedes Haus mit Blumen geschmückt. Oder an eine Geschäftsreise nach Barcelona mit einem privaten Ausflug ins mittelalterliche Girona, zur Temps de Flors, ein geradezu magisches Ereignis jedes Jahr im Mai (hier ein Link: https://www.freibeuter-reisen.org/temps-de-flors-girona-im-blumenrausch/).

Warten wir also nicht darauf, dass die Stadtväter irgendwann irgendetwas begrünen, pflanzen wir selbst die schönsten Blumen aller Zeiten vor unsere Fenster, auch an vierspurigen Straßen – zur Freude der Vorbeigehenden!

Dienstag, 7.8.2018: Lyrik unterwegs in Stuttgarter Bahnen

Diwan des persischen Dichters Hafis, Miniaturmalerei 1585

Auch heute bin ich wieder mit Bus und U-Bahn zur ambulanten Behandlung im Karl-Olga-Hospital unterwegs, und wie in vielen Stuttgarter U-Bahnen grüßt mich auch heute ein Gedicht an der Wand. Ich kann es nur (vermutlich falsch) aus dem Gedächtnis zitieren, es ist von Erich Jooß und heißt

Fundstücke

Obwohl in Stein eingeschlossen
hat sich die kleine Feder
ihre Leichtigkeit bewahrt
als sie
am Anbeginn der Schöpfung
sich von einem Vogel gelöst hat
und zur Erde herab fiel

Ist das nicht schön? Schon seit 1987 wird in Stuttgarter U-Bahnen Poesie präsentiert, und etwa alle halbe Jahre wechseln die Gedichte. An eins von vor zwanzig Jahren kann ich mich noch erinnern, wenn auch nicht mehr an den Autor:

Der Eisbär

Der Eisbär prustet und erklimmt
den Eisberg der im Eismeer schwimmt
und schreitet groß und stark und weiß
durch den Palast aus grünem Eis

Ich habe zwar Germanistik studiert, bin aber keine Poetik-Spezialistin – ich genieße einfach nur. Und ich glaube, das tun fast alle Menschen, changierend zwischen abgedroschenem Schlager und Celans „Schwarzer Milch der Frühe“. Gereimtes, die absolute Schönheit der Form, in der kein Wort an anderer Stelle stehen oder ersetzt werden dürfte, berührt uns einfach mehr als Prosa. Und das scheint sogar beim abgedroschensten Herz-Schmerz-Poem noch zu funktionieren.

Aber machen Gedichte auch glücklich? Doch, da bin ich mir sicher. Im Moment lese ich zum Beispiel Hilde Domin, die wegen der Nazis Deutschland verlassen musste und erst viel später wieder zurück kam. Glück auch im Exil, das hat sie empfunden, wenn der Wind ihr den Duft von Linden und sonnigem Heu herbei trug. Heimatduft eben: „Wolken von Zärtlichkeit fangen mich ein, und das Glück beißt seinen kleinen Zahn in mein Herz.“ Ich sehe den Zahn förmlich vor mir, es ist ein Kinderzahn, und er tut nicht wirklich weh, außer ein ganz klein bisschen.

(aus: Windgeschenke, in „Nur eine Rose als Stütze“. Gedichte, Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1959)

Montag, 6.8.2018: Von der Schönheit der Übungsgeräte für schmerzend-gelähmte Hände

Während die Ergotherapeutinnen im Stuttgarter Karl-Olga-Hospital viel mit Plastik arbeiten, habe ich seit meiner Entlassung das große haptische Vergnügen, mir die Materialien selbst aussuchen zu dürfen. Was braucht die Hand nicht alles, um Berührungen wieder genießen zu können und nach und nach nicht mehr alles fallen zu lassen, was sie greifen will!

Mit meinem Mann Klaus bin ich heute zum Baumarkt gefahren und habe die Zutaten für meine Spiegeltherapie gekauft: Hierbei ist die kaputte Hand hinter dem Spiegel versteckt und macht alles nach, was die gesunde tut – das Gehirn ist ja so leicht beeinflussbar! Es sieht die – bei mir – linke Hand im Spiegel und glaubt, es sei die rechte. Die Erfolge: phänomenal. Und Klaus hat das Bauen mit Eschenholz und allen anderen Zutaten so viel Spaß gemacht, dass er tatsächlich überlegte, ob er nicht in die Serienmanufaktur gehen und diese Therapiespiegel im Internet verkaufen soll. Mich wiederum hat es glücklich gemacht, dass er glücklich war.

Das zweite wichtige Element, mit dem ich täglich arbeite, ist eine Schüssel mit Therapieraps (also schwarzen Rapssamen). Das Rieseln hört und fühlt sich an wie Meerwasser am Strand und vermittelt mir tatsächlich ein Urlaubsgefühl, jeden Tag aufs Neue und mitten im Binnenland. Aus diesem Raps gilt es, auf verschiedene Art und Weise Glasmurmeln unterschiedlicher Größe herauszufischen – große Bohnen oder kleine Mondsteinchen wären auch denkbar.

Dann haben wir noch schwarz-marmorne Qi-Gong-Kugeln für daheim und entsprechend große Holzperlen für unterwegs, einen Holzkreisel, zwei Filzbälle, einen Holzfrosch, der quakt, wenn man ihm mit dem Stäbchen über den Kamm streicht, einen Regenmacher (der hoffentlich am Donnerstag seine magische Kraft offenbaren wird), eine Altflöte (das F mit dem kleinen Finger zu erwischen klappt noch gar nicht), eine ungarische Hirtenflöte und rechts ein Kalaha-Spiel, dessen Urform aus Äthiopien stammt. Greifen Sie einmal mit einer halb gelähmten Hand in eine volle Mulde und versuchen sie, alle Bohnen zu erwischen! Es ist mir noch fast unmöglich.

Sehr beliebt in der Ergotherapie ist auch das Brettspiel Solitär, gern in der verschärften Variante, dass die Stäbchen mit einer Wäscheklammer gegriffen werden müssen. Ich werde es mir bestimmt noch anschaffen. Und auch Mikado möchte ich gern in den nächsten Tagen ausprobieren (leider ist just mein wertvollstes Stäbchen zerbrochen, wer auch immer das getan hat).

Ist es nicht wunderbar, spielen zu dürfen unter dem Stichwort: Ist für die Gesundheit notwendig? Und dazu noch mit solch ästhetisch-ansprechenden Gegenständen?

Ach ja, und für die Dusche habe ich mir eine Holzbürste mit Stiel angeschafft, mit der ich meine Narbe massieren soll – dem Rest vom Körper tut sie auch gut. Das Leben ist schön!

Sonntag, 5.8.2018: Greizer Karikaturen im Satiricum

Für ein Wochenende sind wir von Stuttgart ins thüringische Vogtland, nach Greiz gefahren – in die laut Krankenkasse glücklichste Stadt Deutschlands. Was macht die Greizer so glücklich? Nun, wir werden es herausfinden!

Zunächst einmal macht meinen Mann Klaus, unsere Tochter Lenja und mich glücklich, dass es heute ein wenig kühler ist als an den vorangegangen Tagen – deutlich unter dreißig Grad. Um zehn Uhr eilen wir in die Innenstadtkirche St. Marien zur ersten halben Stunde des Gottesdienstes. Sie wurde nach einem großen Stadtbrand 1805 klassizistisch wieder aufgebaut und ist heute evangelisch. Im Inneren zeigt sie sich in freundlichen Farben: viel weiß, zartgelb und orangebraun, eine fröhliche Kirche. Zu den Kirchenliedern spielt eine Kreutzbach-Orgel aus dem Jahre 1881, 1919 erweitert und mittlerweile eine der größten Thüringens. Der Pfarrer ist locker und unverkrampft. Liegt hier ein Teil der Greizer Glücks? Zumindest will der Aufsteller am Eingang es uns glauben machen: „Gott nahe zu sein, ist mein Glück“, verrät Psalm 73,28 – und das gilt ja vielleicht auch für den ein oder anderen unter Ihnen?

Dann gehen wir zum Greizer Hauptbahnhof, vorbei an Schaufenstern, die uns handschriftlich und mit Zeichnungen über berühmte Menschen unter dem Motto informieren: „Sie waren so… …frei…“. Wer war so frei? Die blinde Helen Keller zum Beispiel, der libertäre, hingerichtete Pädagoge Francesc Ferrer i Guàrdia oder die Fechterin und Opernsängerin Julie d`Aubigny. Wie ungewöhnlich für eine Kleinstadt von nur knapp 21.000 Einwohnern!

Am Bahnhof heißt uns ein Schild herzlich willkommen und wünscht uns allzeit gute Fahrt, und wir empfangen meine Schwester Gaby, die heute ihrer Erkältung zum Trotz aus Berlin angereist ist, um unser neuerworbenes Fachwerkhäuschen in Greiz-Rothental zu besichtigen. Wir würden uns freuen, wenn sie im Alter mit uns dort einzieht. Im Rothentaler Garten begrüßt uns zunächst einmal eine ausgewachsene Blindschleiche, dann erkunden wir die Gebäude. Ja, romantisch findet Gaby sie auch, aber wir merken ihr deutlich das Erschrecken ob des Renovierungsaufwands an – sie muss alles erst einmal sacken lassen.

Wir haben einen Mietwagen, und so hindert uns nichts daran, einmal kurz über die Grenze nach Sachsen zu fahren und das achte Weltwunder zu bestaunen: die Göltzschtalbrücke in Netzschkau. Einstmals war sie die größte Eisenbahnbrücke der Erde, heute ist sie immer noch unsere weltgrößte Ziegelsteinbrücke – ein Viadukt mit 78 Metern Höhe und sage und schreibe 98 Bögen. Beeindruckend!

Wir haben mittlerweile Hunger, und so setzen wir uns zurück in Thüringen und Greiz im Unteren Schloss im Restaurant „Harmonie“ auf die Terrasse nahe dem hiesigen Fluss, der Weißen Elster, genießen die Aussicht und erzählen. Lustig sind die Kloschlüssel für die Toiletten einmal quer über den Schlosshof: Sie sind an alten Esslöffeln befestigt! Hier wie überall im Städtchen zeigt sich: die Greizer sind ein freundlicher Menschenschlag.

Anschließend zeigen wir Gaby den Greizer Park (ein englischer Landschaftsgarten) und das ehemalige Sommerpalais der hiesigen Fürstenfamilie aus dem 18. Jahrhundert, beide national bedeutsam und deshalb in der Obhut der Thüringer Schlösser und Gärten. Im Satiricum des Palais‘ findet bereits zum neunten Mal die Triennale der Karikatur statt, diesmal betitelt mit „Alles lupenreine Demokraten“. Das Satiricum wurde 1975 als nationale Karikaturensammlung der DDR gegründet und übernahm zunächst einmal den reichhaltigen Fundus der fürstlichen Karkaturensammlung aus dem 17. bis 19. Jahrhundert, ergänzt durch Karikaturen aus dem Vormärz und der Revolution von 1848, Simplicissimus, Eulenspiegel, Titanic usw. Zu DDR-Zeiten der umfangreichste satirische Bilderfundus. Hier in Greiz, weil hier ja offenbar schon die Adligen einen Sinn für‘s Witzige hatten. Auch Plastikaturen, satirisch-humoristische Objekte, gilt es zu entdecken. Auf der diesjährigen Triennale stellen wirklich alle 76 deutschsprachigen Karikaturisten mit Rang und Namen aus: von A wie Renate Alf, über G wie Gerhard Glück, K wie Kriki, M wie Marunde, T wie Tetsche bis Z wie Bernd Zeller. Hier ist auf jeden Fall einer der Schlüssel für das Greizer Glück: spielerische Leichtigkeit und Humor.

Zum Schluss erkundige ich mich noch, ob die Bibliothek, die ebenfalls im Sommerpalais untergebracht ist, einen Lesesaal für die Öffentlichkeit hat. Sie hat, und mit ihren 40.000 Bänden in deutscher, englischer und französischer Sprache aus dem 17.-19. Jahrhundert werde ich hier für den Rest meines Lebens genug zum Schmökern und Entdecken haben.

Gegenüber dem Sommerpalais befindet sich das KÜCHENHAUS. Es beherbergt im Erdgeschoss ein Café mit eigener Rösterei (Brandt Kaffee) und den mit Abstand exquisitesten Genüssen unseres kleinen Wochenendausflugs: Für mich ist das die beste mexikanische Trinkschokolade meines Lebens, dazu ein veganer Großkeks der aussieht, als ob er aus Turin stammt, für die anderen zum Beispiel russischer Zupfkuchen, Käsekuchen mit frischen Johannisbeeren und Himbeer-Milchshake. Das alles dekoriert mit essbaren Chrysanthemen in lila, gelb und weiß. Himmlisch! Und: „Glück ist, wenn die Katastrophe eine Pause macht!“ philosophiert ein Schild hinter dem Tresen.

Allmählich heißt es nun, Abschied nehmen von Greiz und die Heimfahrt antreten. Vorab interessiert uns aber noch die Klinik im Leben nebst Garten des Lebens: Europas führende Klinik für naturgemäße, biologische Medizin seit über zwanzig Jahren – im Zentrum von Greiz. Krebs- und Schmerzmedizin, Fiebertherapie, Homöopathie, anthroposophische Medizin und vieles mehr bieten sie an. Wie hätten sie hier wohl mein Komplexes Regionales Schmerzsyndrom behandelt? 1.500 Ärzte, Apotheker und Heilpraktiker haben sich deutschlandweit zusammengeschlossen und unterstützen die Greizer via „Arbeitskreis im Leben“ und die „Gesundheitsstiftung im Leben“. Die Klinik können wir in der Kürze der Zeit natürlich nicht besichtigen, aber wir werfen vom Eingang und dem „Platz der Erdung“ aus einen Blick in den hübschen Garten und seine Bereiche, den Raum der Lebensfreude, die Anhöhe der Orientierung, den Raum der Transformation, den Spiegel der Selbstreflexion und den Garten der Früchte. Streng wissenschaftlich mag hier zwar vieles nicht sein, aber ein Gefühl von Ruhe und Glück vermittelt es durchaus. Gaby, die im Berliner anthroposophischen Krankenhaus Havelhöhe arbeitet, ist sehr angetan.

Unsere Heimfahrt gen Südwesten entwickelt sich zu einem stundenlangen Sonnenuntergang, gerahmt von den schwarzen Büschen und Bäumen links und rechts der Autobahn, zartgelb, hellblau, rosa, pink und orange. Außergewöhnlich und wunderschön. Kurz vor 23 Uhr geben wir die Schlüssel unseres Mietwagens ab und fahren mit Bus und Bahn nach Hause. Katze Kalas begrüßt uns freudig, meine Freundin Maja hat sich während unserer Abwesenheit sehr gut um sie gekümmert.

Samstag, 4.8.2018: Greiz – Zu Besuch in der glücklichsten Stadt Deutschlands

Ich bin in der Ex-Jugendherberge Langenwetzendorf kurz vor halb sechs Uhr aufgewacht und habe die frische, kühle Thüringer Luft genossen. Der kettenrauchende und Rauchmelder-auslösende Gast vom Vortag sitzt schon draußen, wartend, rauchend, und wird schließlich von einem weißen Lieferwagen abgeholt. Ich schaue zu, Stille trotz Auto, Entspannung, Mann und Tochter schlafen noch tief und fest. Vielleicht ist er Saisonarbeiter oder Monteur? Eine Taube gurrt, eine Amsel hüpft über den Rasen und die Kätzchen genießen das Leben in diesem Kätzchenparadies.

Bevor wir nach dem Frühstück gen Greiz starten, müssen wir noch eines herausfinden: Was ist eine Bio-Landschule? Langenwetzendorf hat nämlich nicht nur die Ex-Jugendherberge und ein Freibad mit Riesenrutsche, sondern eben auch eine Bio-Landschule. Leider verrät keine Tafel am historistischen Schulgebäude, was es mit dem Namen auf sich hat, und so muss ich die „Ostthüringer Zeitung“ im Internet zu Rate ziehen:

Für ihr Engagement für die Umwelt wurden 59 Schulen in Thüringen durch Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) und Bildungsminister Helmut Holter (Linke) ausgezeichnet. Auch die Bio-Landschule in Langenwetzendorf hatte sich für die Schuljahre 2015 bis 2018 beim Wettbewerb um den Titel „Thüringer Nachhaltigkeitsschule – Umweltschule in Europa“ beteiligt. Mit Erfolg. Die Regelschule wurde seit 1999 ununterbrochen als Umweltschule ausgezeichnet, nun bekam sie zudem die Ehrung in der Kategorie „Gold“. Überzeugen konnten die Langenwetzendorfer nicht nur mit einem Projekt, sondern gleich mit mehreren, und durch die außerschulischen Kooperationen mit dem Bio-Seehotel, der Gemeinde sowie mit dem Imkerverein. So verweist (Lehrer) Tom Jungk nicht nur auf das Engagement von derzeit neun Schülern in seiner Öko-Gang, sondern auch auf die Pflege der Apfelhecke, ein Feuchtbiotop, in das eine Umweltpumpe eingebaut wurde, die Neugestaltung des Insektenhotels sowie auf Pflege- und Umgestaltungsarbeiten am Hochbeet der Schule.“

Donnerwetter! Trotz grün-schwarzer Landesregierung haben wir so etwas hier bei uns in Baden-Württemberg nicht. Da scheint das Thüringer Rot-rot-grün besser zu funktionieren. Ein Puzzlesteinchen auch zum Greizer Glück?

Aber nun fahren wir erst einmal nach Greiz-Rothental. Mein Mann Klaus hat hier nämlich vor ein paar Tagen „für‘n Appl und‘n Ei“ ein altes Fachwerkhaus mit Garten und Blick auf den hiesigen Fluss, die Weiße Elster, erworben. Hier werden wir wohnen, wenn wir in Rente gehen – aber vorher heißt es noch: vieeeel renovieren! In einem der Zimmer hängen Pflanzen zum Trocknen, wie gemacht für mich alte Kräuterfrau. Im Garten wachsen Salbei, Maiglöckchen, Pflaumen, Kirschen, Himbeeren. Das Klo ist noch ein Plumpsklo im Freien. Ich lasse mich darauf ein und übersehe einmal die auf uns zukommende Arbeit – dann ist es wunderbar romantisch hier! Klaus hatte natürlich alles vor Abschluss des Kaufvertrags besichtigt, aber für Tochter Lenja und mich ist es die erste Begegnung. Nicht nur wohnen wollen wir hier (vielleicht mit Klausens Bruder und meiner Schwester zusammen), sondern es soll auch ein „Bioglückshaus Greiz“ entstehen, mit Seminarräumen und öffentlicher Bibliothek.

Von der Straße „An der goldenen Aue“ (welch schöner Name!) werfen wir noch einen letzten Blick auf unser Wolkenkuckucksheim. Weil meine Hand immer noch stark lädiert ist seit meinem Unfall Anfang Mai, wollen wir das Wochenende nicht der Arbeit, sondern dem Erkunden der Greizer Schönheit und des Greizer Glücks widmen. Was also ist das Geheimnis der Greizer? Der vergoldete Spiegel und die Sonne, die an der Wand der Pizzeria „Da Papu“ hängen? Der Name erinnert mich an den Film „La Vita è bella“ des Komikers Roberto Benigni – der kleine Junge dort nennt seinen Vater „Papu“. Nun, nicht mehr als ein winziges Puzzleteilchen.

Neben der Pizzeria befinden sich der Biomarkt und die Peanuts-Biokneipe von Greiz. Sie haben beide nur von montags bis freitags geöffnet – wie überhaupt so einiges hier. Auch ein Grund für das Greizer Glück? Wahlspruch: „Eine Fünf-Tage-Woche ist auch für Selbständige mehr als genug.”?

Oder vielleicht hilft das Motto der Greizer im Prospekt der Tourist Information weiter: „Wir leben nur, um Schönheit zu entdecken. Alles andere ist eine Art des Wartens.“ (Khalil Gibran). Vielleicht passt dazu, dass der Autor dieser Zeilen eben nicht nur Autor, sondern auch Maler und Philosoph war, und dass er in zwei völlig unterschiedlichen Ländern lebte. Ein Weltenbürger.

Wir überqueren die Weiße Elster und gehen in das Untere Schloss. Greiz, die „Perle des Vogtlandes“, war früher einmal die Hauptstadt des aller-aller-allerkleinsten Fürstentums Deutschlands. Das hat ihm auf gerade einmal 21.000 Einwohner sage und schreibe drei prächtige Schlösser und einen mindestens ebenso prächtigen Schlossgarten verschafft. Plus auch heute noch etwas mehr Kultur, als ich von einer Kleinstadt erwarten würde. Verhilft Kleinteiligkeit zum Glück? Der Anarchist würde sagen: ja. Je größer und anonymer das Gemeinwesen, umso unglücklicher die Menschen. Herrschaftsfreiheit funktioniert am besten in überschaubaren Einheiten.

Im Unteren Schloss erkunden wir eine Textilschauwerkstatt. Im 19. Jahrhundert gab es in Greiz viele Spinnereien, Seidenwebereien und die höchste Millionärsdichte Deutschlands. Heute gibt es zum Beispiel noch die Firma www.blaudruck-greiz.de, und ich erstehe von ihr ein Lavendelsäckchen für meine Katze-hütende Freundin Maja in Stuttgart. Im Anschluss lockt die liebevoll gestaltete Sonderausstellung „Das Erbe der Buckelapotheker“ nebst einer Riesenmurmelbahn aus Holz. Ich erfahre, dass es ein Kräuternetzwerk Thüringen gibt (www.einfach-natuerlich.de) – und eine hohe Dichte an Kräuterfrauen und Heilpraktikerinnen direkt im Städtchen. Kräuterfrauen, die auch dichten und Bücher veröffentlichen, wie die Physiotherapeutin Cornelia Seidel. Und dass Kräuter glücklich machen – nun, das kann ich nur bestätigen.

Wir setzen uns in das zentrale Eiscafé Doimo am Puschkinplatz. Neben uns eine junge Familie mit zwei Kindern, die Mutter hochschwanger – und alle 4 ½ wirken glücklich und in sich ruhend. Im Anschluss hat Lenja uns zu einem 3D-Zeichentrickfilm überredet, das Kino ist um die Ecke. „Hotel Transsylvanien 3“ klingt nicht gerade nach „Kultur hoch 3“, aber Filmkunst gibt es nur alle ein bis zwei Wochen mittwochs, dafür dann aber auch vom Feinsten. Also Hotel Transsylvanien. Die Handlung ist erschreckend banal (warum um alles in der Welt haben Monster keine besseren Ideen für die Freizeitgestaltung als Kreuzfahrtschiffe, Pool, Glücksspiel und Disco?) – aber eine Tricks gefallen, einige Gags sind sogar lustig – und die Gesamtaussage: Menschen und Monster sind beide gleich gut und sollten in Frieden miteinander leben, die passt natürlich zu einer glücklichen Stadt wie Greiz.

Nach dem Kino gibt es noch die vielen, vielen Jugendstilhäuser in Greiz zu bewundern, von floral über symbolistisch bis Heimatkunst. Es sind so viele, dass Greiz Mitglied der internationalen, in Barcelona heimischen „Art Nouveau-Route“ ist, eine von 78 Städten auf der ganzen Welt, auf einer Ebene mit Antwerpen, Paris und Wien.

In der „Stadtmühle“ Greiz, im Herzen der Stadt neben dem Unteren Schloss und mit Blick auf den Fluss, genießen wir ausgezeichnete alkoholfreie Cocktails (ich sage nur: Spicy Ginger) und das bisher beste Essen unseres Mini-Urlaubs, Antipasti.

Ein kleiner Abendspaziergang führt uns noch durch die Anfangsgründe des Greizer Schlossparks bis hin zum Sommerpalais. Thüringen ist eh das artenreichste Bundesland, was die Flora anbelangt, und da lässt sich natürlich auch Greiz nicht lumpen, zwanzig verschiedene wilde Orchideenarten wachsen hier, und solch ausgefallene Pflanzen wie Arnika oder Großer Wiesenknopf. Aber auch mindestens ebenso seltene Tiere wie Kammmolch, Eisvogel, Wasseramsel, Uhu, Wildkatze, Kreuz- und Fischotter kann man hier mit etwas Glück beobachten. Für heute jedoch haben wir erst einmal an den Mücken genug und fahren zurück zu unseren „Drei Tannen“.

Freitag, 3.8.2018: Nacht-Rap und „Willkommen in Thüringen“

Um 3.24 Uhr wache ich auf und gehe auf den Balkon, um Sterne zu schauen. In Stuttgart ist das natürlich nur begrenzt möglich, zu viel Stadtlicht – selbst in der Nacht. Immerhin entdecke ich die Cassiopeia und darunter eine Chaiselongue, den Pegasus, wenn auch keine Sternschnuppen. Eine Fledermaus streicht so nahe an meinem Kopf vorbei, dass ich kurz erschrecke. Kalas rührt sich nicht.

Zurück im Bett komponiere ich einen Rapsong, wenn er auch nur aus zwei Zeilen besteht und eher Nonsense-Charakter hat:

<Mann steht vor dem Kaffeehaus gegenüber dem Olgahospital und singt:>

Ist unser Körper nur zum Kaffeetrinken da?“

<Computerstimme aus dem Off:>

Anpärrinn! Anpärrinn!“

<2x schnelles Händeklatschen. Da capo al fine, wobei diesmal das zweite Händeklatschen tiefer ist – durch hohle Hand.>

Meine Tochter Lenja ergänzt dann am Morgen eine zweite Stimme zum Anpärrinn:

<Mädchenstimme:>

Nein, isser nicht! Nein, isser nicht!“

Der neue Tag ist genauso heiß wie die vorhergehenden. Ich habe einen Arzt- und einen Ergotherapietermin, wir packen, und um drei Uhr nachmittags starten wir ab Hauptbahnhof mit einem klassisch-schwarzen Miet-Ford gen Nordosten, ins vierhundert Kilometer entfernte Thüringen. Mit der Bahn hätten  wir die Strecke um diese Uhrzeit (und mit der Hitzeproblematik) leider nicht mehr geschafft. Während unserer Abwesenheit wird meine Freundin Maja zusammen mit ihrer Freundin Heike unsere Katze einhüten. Gemeinsam wollen die beiden sich in Rosenbergs Gewaltfreier Kommunikation üben.

Unser Ziel in Thüringen: Greiz, die glücklichste Stadt Deutschlands, laut einer Untersuchung der Techniker Krankenkasse aus dem Jahre 2015. Prozentual betrachtet leben hier weniger Depressive als in allen anderen Städten unserer Republik!

Heute gelingt uns nur ein allererster Eindruck vom Auto aus: schön! Wir umrunden die Stadt und fahren weiter in die Waldherberge „Drei Tannen“ in Langenwetzendorf, mitten im Wald, oben auf dem Berg, ursprünglich ein Arbeiterwaldheim aus den Goldenen Zwanzigern analog zu denen bei uns in Stuttgart. Zwischendurch war es auch einmal eine Jugendherberge – und spottbillig ist es immer noch. Wir zahlen nur 20 € pro Nase und Nacht incl. reichhaltigem Frühstück!

Es ist recht still hier zwischen meinen drei Leibpflanzen: Kiefern, Birken und Rosen, ein Reh läuft über die Straße – und es gibt Unmengen von Kätzchen zwischen fünf Wochen und zwölf Jahren. Sie turnen überall herum, und fast alle lassen sich streicheln – Lenja strahlt. Die Herbergsmutter, Jacqueline Hendrich, ist ausgesprochen sympathisch, resolut, freundlich, aufgeschlossen, flexibel, eine Frau, die weiß, was sie will. Trotz der schon etwas vorgerückten Stunde können wir im Garten vor dem Haus essen, und sogar etwas Veganes wird für mich gebastelt – Salat mit gerösteten Sonnenblumenkernen und Bratkartoffeln. Mein Mann und ich haben ein Berliner Durchgangszimmer, Lenja bezieht die Kemenate im Anschluss ganz für sich allein – denn meine Schwester Gaby hat sich dermaßen erkältet, dass sie heute nicht aus Berlin zu uns stoßen konnte.

Ich bin gespannt auf die beiden Thüringer Tage, die vor uns liegen!

Donnerstag, 2.8.18: Gymnastik mit Katze

Heute Nacht hat es gewittert und geregnet, und der Vormittagshimmel zeigt rötliche Streifen, obwohl die Sonne schon weit oben steht.

Unsere Katze Kalas schläft wie üblich auf dem Balkon – und freut sich jeden Morgen, wenn wir die Tür öffnen. Sie ist etwa so alt wie unsere vierzehnjährige Tochter Lenja und kam 2009 zu uns: Eines schönen Morgens schlug ich der Familie vor, doch einen schwarzen Kater anzuschaffen, nach dem Motto „Es ist gut für Kinder, mit einem Haustier aufzuwachsen.“ Gesagt, getan. Die Stuttgarter Katzenhilfe vermittelte uns die Anschrift eines Tierarztes in Gerlingen, und wir fuhren hin. In einem kleinen Zimmer lungerten gewiss zwanzig herrenlose Tiere vor verschiedenen Fressnäpfen, darunter auch ein schwarzer Kater – aber der Tierarzt meinte zu Recht, wir sollten besser eine Weile in dem stinkenden Zimmer bleiben und uns in die Katzen einfühlen, nicht alle seien für Familien geeignet. Der Schwarze hatte sich uns bereits auserkoren, benahm sich aber sehr herrisch und aufbrausend gegenüber seinen Mitlebewesen. Und dann gab es eine Katze, die schnurrte laut vor sich hin. Überhaupt nicht mein Fall, eine 08.15-getigerte Europäisch Kurzhaar – aber sie ist es geworden. Der Schwarze war massiv beleidigt…

Mein Mann Klaus gab ihr den Namen Kalas, weil ihm die beiden Silben so gut gefielen. Kalas lebte ursprünglich auf einem Bauernhof, bis sie vom Traktor angefahren wurde. Die Kiefer-OP hätte den Bauern hundert Euro gekostet, und also wollte er sie einschläfern lassen – nun kam sie zu uns.

Sie ist die lauteste Schnurrerin, die ich je kennengelernt habe, sie schnurrt viel und lange und ist überhaupt mindestens genauso kommunikativ wie eine Siamkatze. Sie kratzt nicht, sie beißt nicht, und bei außergewöhnlich begabten Katzenkraulern sabbert sie sogar manchmal vor Glück.

Was sie aber besonders liebt, ist meine schamanisch-meditative Yoga-Tai-Chi-Morgengymnastik, vor allem den Teil, der auf dem Berberteppich stattfindet. Wenn ich meine Luchs-Übungen mache, kuschelt sie sich am liebsten ganz eng an mich, und rutscht möglichst noch zwischen meine Knie und die aufgestützte Hände, zumindest mit dem Schwanz. Durchaus beliebt ist es bei ihr auch, sich beim „Baum“ genau unter das Bein zu stellen, das gerade in der Luft ist und irgendwann gerne einmal wieder Kontakt mit der Erde haben würde. Morgengymnastik unter erschwerten Bedingungen also! Aber Kalas ist eben eine sehr gesellige Katze, und so stelle ich mir auch das Volk vor, nachdem wir sie benannt haben: die Kalas / Kalash im Hindukusch (Pakistan), Nachfahren von Alexander dem Großen, mit hellen Augen und einer sehr archaischen Religion. Irgendwann kauften wir für Lenja auch einmal eine handgenähte Kalasha-Puppe auf einem „Markt der Völker“, das ist also die Namensschwester unserer Katz‘.

Der Tag ging griechisch weiter: Für meine medizinische Fußpflege zeichnet Ioannis Ioannidis verantwortlich, ein netter junger Man mit dicken, geraden Haaren, schwarzer Hornbrille, äußerst maskuliner Behaarung und den Unterarmen eines Bauarbeiters. Zum Glück arbeiten Ioannidis‘ Geräte mit Wassernebel, sehr angenehm bei den derzeitigen Temperaturen. Seine Mutter ist klein und kugelrund und fröhlich und kümmert sich um die Terminplanung. Und ich habe wieder für die nächsten vier Wochen schöne Füße.

Zweimal hatte ich heute das Vergnügen, von der Kirchheimer Straße aus hinunter nach Hause zu laufen (unser Erdbeer-Bus fährt nur alle dreißig Minuten). Ein Vergnügen ist es wirklich, denn auf meiner Seite der Gartenzäune lugen Melissen- und Fenchelblätter hervor, die zwischen den Fingern gerollt und beschnuppert werden wollen, Brombeeren wachsen mir fast in den Mund, die ersten Äpfel wandeln sich zu Fallobst, auch die ersten Pflaumen sind reif, und sogar eine Holunderbeere und eine Kornelkirsche konnte ich naschen. Schlaraffenland!

 

Mittwoch, 1.8.2018: Von der Schönheit des Regens an Birkenblättern

Seit Wochen herrscht Dürre bei uns in Deutschland, der Klimawandel geht mit massiven Ernteausfällen einher. Die Temperaturen in Stuttgart klettern tagsüber selbst im Schatten bis auf knapp 40°C, und auch in den Nächten kühlt es kaum ab. Die Grillen zirpen um die Wette, ganz wie im Urlaub. Erst gegen vier Uhr morgens schlafe ich ein.

Als aber um sieben Uhr der Wecker klingelt, dringt ein milchig-gelbes Licht durch die Balkontür auf unser Tatami-Bett, weicher als der strahlendblaue Himmel der letzten Tage. Das Milchgelb wandelt es sich allmählich in grau, und dann geht es auch schon los:

Meine Balkonpflanzen sind begeistert, und diesmal ist es kein magischer Sinau von den Blatträndern, der sich hier in der Mitte meines Frauenmantels, meiner kleinen Alchemistin sammelt, sondern schlicht Wasser von oben.

Mein Mann Klaus bringt uns mit Cardamom gewürzten Espresso ans Bett. Auf dem Boden der Becher steht „Küss mich“. Wir tun es.

Die Erfrischung draußen ist so schön, dass ich mit nackten Füßen auf dem Balkon herumlaufe. Sogar in den Untersetzern der Tontöpfe sammelt sich der Regen. Ein Morgen ganz nach meinem Geschmack, trotz Müdigkeit. Und gewiss die Rettung für viele Lebewesen vor unserer Tür.

Dann kommt die liebe Sonne wieder, und wir halten mit Glückstee, Eiswürfeln und Bio-Mangosorbet gegen. Das Leben genießen: Ja, bitte!