Mittwoch, 12.9.2018: SteppenBarock

Almagul Menlibaeva, aus der Serie “SteppenBarock”, 2003, Fotografie

Opulente Inszenierungen in einer äußerst kargen Landschaft: Das ist der Weg der 1969 geborenen, kasachischen “Punk-Schamanin” Almagul Menlibaeva, um die Stellung der Frau in der postsowjetischen Aera zu reflektieren.

“Ihre Performances rühren und begeistern bis zu Tränen, sie lassen ein Gefühl zurück, als sei man einem Wunder begegnet”, schreibt Julia Sorokina im Sammelband “Vom Roten Stern zur blauen Kuppel” über die Künstlerin. Menlibaeva zeigt Frauen perfekt wie Ikonen – gleich ob sie nackt oder voll verschleiert sind. Unwirkliche orientalische Erscheinungen werden sie dadurch, wie Fata Morganas. Und Transformation, Verkleidung und Mystik sind auch 2018 noch ihre Themen.

Der Magie ihrer Fotografien wohnt für mich eine große Schönheit inne, die sich gerade aus dem Gegensatz von fast monochromer Steppe und der Innerlichkeit der Dargestellten zu den bunten Tüchern speist.

Viele Preise hat Menlibaeva gewonnen, den bisher letzten 2017 vom französischen Kultusministerium, den Chevalier Ordre des Arts et des Lettres (http://www.almagulmenlibayeva.com/).

Islamische Welten: Vom roten Stern zur blauen Kuppel. Kunst und Architektur aus Zentralasien. (c) 2004, ifa-Institut für Auslandsbeziehungen Berlin/Stuttgart

 

Sonntag, 9.9.2018: Berlin – Zu Besuch im Botanischen Garten

Glücksbächlein in den Gewächshäusern des Botanischen Gartens

Nach dem Ende des Heilpraktiker-Seminars in Berlin-Wittenau fahre ich schnell zu meiner Schwester, um Isomatte und Decke loszuwerden und eine Stulle – berlinerisch für eine (belegte) Scheibe Brot – zu essen. Danach geht es mit der S-Bohn zum Botanischen Garten.

Eigentlich dachte ich, dass ich ihn nicht kenne, aber weit gefehlt: Ich war schon einmal hier, abends im Winter 2016/17, zum faszinierenden Christmas-Garden-Spektakel, kurz vor dem Tod meines Vaters. Im Dunkeln und Winter, bei Regen und magisch beleuchtet – da wirkt solch ein Garten gar nicht wie ein botanischer, es könnte auch jeder x-beliebige andere Park mit Mauer drumrum sein.

Nun aber scheint die Sonne, und es ist für September sehr warm, so warm, dass ich mich in einer stillen Ecke meiner Leggins entledige und sofort Durst bekomme. Zum Glück gibt es im SB-Café vor den Gewächshäusern Fritz-Bio-Apfelsaftschorle ohne Ascorbinsäure, sodass ich gestärkt in die Glashaus-Tropen eintauchen kann. Die berühmte Victoria-Seerose blüht gerade nicht, dafür sehe ich dort etwas, was auf meiner Liste der Glücksbringer bisher fehlt, weil es mir so fremd ist: Ein Bächlein plus Teich, in den die Leute Münzen geworfen haben. Wie nennt sich das: Glücksteich?

Wenn er ein Brunnen wäre, würde er Wunschbrunnen heißen und ließe für jede hineingeworfene Münze einen Wunsch in Erfüllung gehen. Hintergrund ist der (unbewusste) Glaube, dass im Wasser göttliche Wesen leben. Bei uns in der Stuttgarter Wilhelma trieben es die Leute eine Zeitlang damit besonders arg und warfen die Münzen auf Seelöwen und Krokodile – welche sie fraßen und daraufhin starben. Zugegeben, Nilkrokodile wurden im Alten Ägypten als göttlich verehrt. Der “Große Weiße” wurde deshalb jedoch nur vierzig Jahre alt, statt der hundert Jahre, die ein Leistenkrokodil aus Südostasien erreichen kann. 140 durch Verdauungsprozesse teils rasiermesserscharfe Münzen wurden in seinem Magen gefunden. Ob die Leute inzwischen weiser geworden sind?

Im Berliner Glücksteich schwimmen jedenfalls keine Tiere, dafür an anderer Stelle Kois, starke und ausdauernde Fische, die nach der Legende in glücksbringen Drachen verwandelt werden, wenn sie den Fluss Huang-Ho über die Wasserfälle und das Drachentor hinweg bis zur Quelle hinauf geschwommen sind. Dies wird den Berliner Examplaren wohl leider kaum gelingen. Einer ist besonders schön, fast ganz weiß und mit schleierähnlichen Flossen.

Insgesamt aber gefällt es mir draußen besser, es gibt einen großen, schönen Heilpflanzenbereich, ein Arboretum mit mit einer süßen Maus mit schwarzem Strich auf dem Rücken und schließlich einen Rosengarten, in den ich mich setze und ein bisschen schreibe, während auf der Wiese hinter mir ein junger Mann Blockflöte spielt.

Abends entscheide ich mich gegen das Programmkino um die Ecke, esse zu Hause die Reste vom Freitag, packe und schaue fern. In Phoenix begegnen mir plötzlich Spitzbergen und die Noorderlicht, ein über hundert Jahre altes Segelschiff, auf dem ich vor rund zwanzig Jahren einen Sommerurlaub verbracht habe. Nun ist es Winter, und Mejke aus Holland, die immer noch dort arbeitet, hat das Schiff im Eis festfrieren lassen und bietet den Einheimischen Kaffee und Kuchen an… Wie eigentümlich, das alles nach so vielen Jahren wiederzusehen…

 

Samstag, 8.9.2018: Entspannungsübungen in Berlin

Der Berliner Bär ist zwar eines meiner Krafttiere, sieht hier aber ausgesprochen unentspannt aus.

Heute und morgen besuche ich eines meiner zehn Heilpraktikerseminare – in Berlin-Wittenau. Diesmal ist das Thema Entspannung dran, und da fast alle von uns sechsen Autogenes Training schon kenne (ich praktiziere es seit meiner Kindheit), lernen wir stattdessen Atemübungen, Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Shiatsu und Fußreflexzonentherapie nach Hanne Marquardt – und morgen, danz zum Schluss, werde ich kurz die Rolle der Lehrerin übernehmen und eine schamanische Krafttierreise mit allen unternehmen (einschließlich der eigentlichen Lehrerin).

Entspannung und damit Abbau von zum Teil ja schon chronischem Stress (einschließlich Angst und Trauer) ist eine besonders effektive Form, um einen geraden, breiten Weg Richtung Glück zu beschreiten, besonders dann, wenn wie hier Teilnehmerinnen und Lehrerin nett und die Räumlichkeiten ansprechend sind. Allein dass die angebotenen Tees und der Kaffee nicht Bio sind, stört mich.

Abends treffe ich mich mit meiner Stiefmutter und zweien meiner drei Stiefbrüder, und wir besuchen ein veganes Restaurant in Moabit, das Valladares (https://www.valladares-feinkost.de/). Es schmeckt gut dort, und einiges ist sogar Bio, zum Beispiel mein alkoholfreies Lammsbräu-Pils. Der Espresso schmeckt hochspannend ungewöhnlich, wir tippen auf Zimt oder eventuell eine Gewirzmischung, aber stattdessen: Er wird beim Rösten karamellisiert – sie beziehen ihn aus einer kleinen Berliner Rösterei.

Die Unterhaltung mit meinen beiden Stiefbrüdern ist sehr angeregt, doch leider geht es meiner Stiefmutter nicht gut, sie hat noch mehr abgenommen, isst kaum etwas und beteiligt sich nur selten am Gespräch. Wir nehmen immer wieder ihre Hände und streicheln sie. Am Montag will sie zur Probe in ein Pflegeheim in der Innenstadt ziehen.

Ich kaufe im Valladares noch eine Tüte Bio-Espresso Berliner Mischung für daheim. Draußen ist es schon dunkel, und ich nehme dankbar das Angebot des ältesten Bruders an und lasse mich bis fast vor die Haustür meiner Schwester Gaby fahren, bei der ich fürs verlängerte Wochenende residiere.

Freitag, 7.9.2018: Berlin – Shopping und Glücksspiel in Kreuzberg


Löblich Deli & Café, Hasenheide 49, Berlin

“Die Schönheit der Dinge liegt in der Seele dessen, der sie betrachtet.” (David Hume)

…sagt ein Spruch im Zimmer meiner Schwester Gaby. Wegen eines Heilpraktiker-Wochenendseminars bin ich zu ihr nach Berlin gefahren. Sie wird nur bis Samstag früh hier sein, um dann ihrerseits zu einem Anthroposophie-Seminar gen Langeoog aufzubrechen, während ich ihre Wohnung einhüte.

Prompt zu Beginn ihres Urlaubs hat sie sich wieder massiv erkältet. Deshalb beschließen wir, heute kein Sightseeing zu machen, sondern lediglich im Viertel einkaufen zu gehen und den Tag erholsam zu gestalten. Sie will noch einige Kleinigkeiten erledigen, und außerdem suchen wir nach einer Duftlampe für die ganzen ätherischen Öle, die ich ihr in den letzten Jahren geschenkt habe. Nun, wir finden kein Exemplar, das ihr gefällt und gleichzeitig billig ist, dafür aber in einem Indienladen drei Kopftücher für mich und im chapati wunderschöne grüne Pulswärmer mit hellgrüner Spitze aus Bio-Baumwolle (www.chapati.de). Das Logo ist eine aufgehende orange Sonne, und darunter sitzen scherenschnittartig zwei Katzen in einem Vogelnest. “Lächeln als Zeichen des Wiedererkennens” wirbt der Laden für sich: “Das Leben ist ein Ornament aus Menschen aller Farben, aller Sprachen, Bilder und Gesänge. Chapati webt einen Stoff, in dem Du Frieden träumst, ihn anlegst wie ein Gewand, ihn weiterreichst mit dem Lächeln des Wiedererkennens am Anderen, am Fremden, der Freund wird.” Nun mag zwar dahingestellt sein, ob ein Stoff dazu anregt, von Frieden zu träumen, aber maximal inklusiv ist der Werbetext auf jeden Fall.

Ein Lächeln oder etwas Kleingeld oder etwas zu essen, darum hatte in der U-Bahn auch ein junger Obdachloser gebeten. Erst wollte ich ihm nur ein Lächeln schenken, aber dann kam doch ein Euro dazu, und er schenkte mir ein Lächeln zurück, und ich bedankte mich…

Abschließend gehen wir noch ins Café Löblich (siehe Foto, www.loeblich-berlin.de), wo man trotz des Verkehrslärms schön draußen sitzen kann und es viele Sorten veganen Kuchens gibt. Ich entscheide mich für einen Schokobrownie mit Marmelade und Zucchini (sehr gut), einen doppelten Espresso (nicht heiß genug) mit Wasser und nehme mir für den Weg noch das absolute kulinarische Highlight des Tages mit: eigentlich ein handgemachtes Wassereis am Stiel, Marke Paletas, aber was für eins! Salatgurke-Zitrone, und es sind tatsächlich Gurkenscheinben drin, und es schmeckt wie Berliner Gurkensalat, nur einen Tick süßer. Fantastisch! (https://www.paletas-berlin.com/)

Insgesamt schenkt mir das Löblich eine noch bessere Erfahrung als das vegetarisch-vegane Restaurant Seerose am Südstern, halb SB, wo das vegane Essen zwar interessant gewürzt, aber leider in der Mikrowelle aufgewärmt und nur lauwarm ist.

Den Nachmittag und Abend verbringen Gaby und ich mit dem Glücksspiel Kniffel,  von dem wir schon vor Jahrzehnten eine Familienversion entwickelt haben, die etwas mehr strategisches Denken und Planen erfordert als die im Geschäft erhältliche. Glücksspiele machen bekanntlich nur glücklich, wenn es wie bei uns nicht um Geld geht, und so gelingt mir diesmal ein glücklich machender Sechs-Spalten-Ausnahmekniffel-des-Jahrzehnts mit nicht einem einzigen Strich (und auch Gaby ist nicht wesentlich schlechter)! Dazu hören wir eine CD des Widerständlers Mikis Theodorakis.

Essen koche ich, denn Gaby steht nicht gern am Herd: Nudeln mit einer selbst kreierten Gemüse-Tofu-Tomatensauce. Das Problem mit “Arm aber Bio” für Gaby ist, dass es mit Feriggerichten nicht funktioniert – die sind einfach zu teuer. Mein Problem ist hingegen die Neugier auf noch nicht ausprobierte vegane (Bio-)Restaurants, was im Hartz-IV-Satz ebenfalls nicht vorgesehen ist (und die Arbeitslosen vom sozialen Leben ausschließt und in die Arme der AfD treibt).

Vor dem Schlafengehen starte ich im Bett noch ein Buch von Gaby, Alice Munros Zu viel Glück (Too much happiness), aber davon ein andermal.

 

Donnerstag, 6.9.2018: Reiseglück

Auch wenn das nun nicht zum täglichen Beüben meiner Stärken wie dem Schönheitssinn gehört: Reisen macht mich glücklich, je weiter, je besser und: je fremdländischer, je besser. Es gibt nur eine Ausnahme: Ich reise nicht gern in Kriegs- und Krisengebiete. Ich habe das sowohl in Türkisch-Kurdistan (damals unter Kriegsrecht) als auch in Israel-Westjordanland-Gazastreifen erlebt und weiß: Ich will nicht Angst um mein Leben oder vor Verhaftung aus politischen Gründen haben.

Ich vermute, dass die Lust am Reisen genetisch bedingt ist: Mein Urgroßvater fuhr zur See und arbeitete später bei der Bahn, nachdem eine Trosse ihm die Hand zertrümmert hatte. Man sagt, er habe an jedem Endbahnhof eine Geliebte gehabt. Mein Großvater wiederum arbeitete vor dem Dritten Reich in Mailand und Barcelona und musste schließlich vor den Nazis über Polen in die Schweiz fliehen, wo er bis 1948 lebte.

Mein Vater schließlich hat schon in den 60er und 70er Jahren mit uns Kindern große Reisen unternommen, als die meisten Leute noch jahraus jahrein nur an die Nordsee oder in die Berge nach Österreich fuhren. Als ich sechs war, feierten wir mit vielen anderen das Mitssommerfest in Südschweden. Später lernten wir auch Nordschweden kennen und außerdem Dänemark, Finnland, Russland (Leningrad!), Frankreich, die Schweiz natürlich, Österreich, Jugoslawien, Griechenland und Italien. Und selbstverständlich hatte mein Vater alle Segelscheine, auch wenn er nie mit mir gesegelt ist.

Die massiven Glücksgefühle beim Reisen habe ich jedoch erst kennengelernt, als ich es nach dem Studium zum ersten Mal wagte, allein zu verreisen: Gebucht hatte ich lediglich den Flug und die ersten drei Nächte in der Jugendherberge von Reykjavik, und reisen wollte ich mit dem Linienbus einmal rund um Island. Schon im Flieger hatte ich Glückstränen in den Augen, später kamen sie dann auch einmal im Bus, als die Fensterscheibe das Licht in einen Regenbogen verwandelte – und beim unerwarteten Anblich des Polarlichts (es war erst September!).

“Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein”, singt Reinhard Mey, und ich kann das bestätigen, selbst bei Geschäftsreisen weine ich manchmal vor Glück, wenn wir die Wolkendecke durchstoßen haben. Mittlerweile zahle ich natürlich den CO²-Ausgleich via atmosfair (https://www.atmosfair.de/de/), damit mein Fliegen nicht andere unglücklich macht.

Am allerliebsten aber reise ich mit und schlafe ich auf Schiffen, selbst wenn sie gerade so schräg liegen, dass man ein zweites Brett einrasten lassen muss, um nicht aus der Koje zu kullern (so geschehen auf der Noorderlicht vor Spitzbergen, https://oceanwide-expeditions.com/de/unsere-schiffe/sv-noorderlicht). Das letzte mal übergeben musste ich micht mit sechs Jahren auf der Fähre nach Südschweden. Mein Privatrezept gegen flaues Gefühl im Magen: ein trockenes Brötchen und ein Glas Bier. Wissenschaftlich anerkannt ist hingegen Ingwer, gleich ob als Tee oder Bonbon. Natürlich habe ich inzwischen den Segelschein für Binnengewässer und das Bodensee-Schifferpatent. Und Tochter Lenja ist infiziert: den Optimistenschein hat sie schon, nächstes Jahr soll der erste Segelschein für Erwachsene folgen.

Wenigsten eine kleine Schifffahrt muss deshalb in jedem Urlaub dabei sein – und sei es auch nur eine popelige Kanalüberquerung mit einer winzigen Fähre. Und so ist es auch kein Wunder, dass ich am Tag, bevor ich im July ins Krankenhaus sollte, noch schnell mit Lenja eine Fahrt mit dem Neckarkapitän von Bad Cannstatt durch die Mühlhausener Schleuse und zurück gemacht habe – Dampferfahren als Schiffsglück für Arme eben. Wenn mein Kräuterglück dem nicht entgegenstünde, würde ich gern auf einem Hausboot leben…

Heute bin ich nicht mit einem Schiff, sondern nur mit der Deutschen Bahn unterwegs, begleitet von Bio-Lakritz, das mein Mann Klaus mir gestern geschenkt hat. Ich liebe Lakritz.  Anlass meiner Reise ist mein drittes Heilpraktiker-Seminar, für das ich in Sindelfingen keinen passenden Termin gefunden habe. Was lag also näher, als zum Seminar nach BERLIN zu fahren und dies gleich mit Besuchen bei meiner Stiefmutter und meiner Schwester zu verbinden, bei der ich wohnen werde?

Zugfahren ist auf jeden Fall schöner als Autobahnfahren (von unseren beiden letzten Greiz-Aufenthalten sind meine Familie und ich da noch leidgeprüft). Den ersten Teil der Zugstrecke kenne ich sehr gut: Mannheim – Frankfurt – Fulda – Eisenach – Erfurt (von dort aus würde ein Regionalzug direkt nach Greiz fahren). Dann geht es abenteuerlich weiter durch Sachsen nach Halle, Leipzig und schließlich Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, bevor wir von Süden aus nach Berlin einfahren. Ich muss an die schrecklichen Demos der Nazis in Chemnitz und Köthen denken. Was ein Glück, dass wir unser Haus im thüringischen Greiz gekauft haben!

Im Gegensatz zu den Nazis habe ich keine Angst vor Fremden. Am liebsten möchte ich alle Länder dieser Welt kennenlernen. Dreieinhalb Staaten pro Jahr müssten es dafür dann allerdings schon sein, und 2018 war ich leider – auch wegen meiner Radiusfraktut und dem CRPS – noch nirgends. Bisher kann ich erst mit 29 besuchten Staaten aufwarten (DDR nicht mitgerechnet) – 194 plus 12 umstrittene gibt es jedoch. Nicht üppig also… Es ist nicht die Lust am Abhaken und damit Besitzen. Ich entdecke gern. Ich bin seeeehr neugierig (und damit sind wir dann wieder bei meinen Kernkompetenzen). Wenn ich etwas Neues sehe – höre – rieche – schmecke, bin ich glücklich. Monotonie (die Plattenbauten im ehemaligen Ostblock…) macht mich unglücklich.

Ursprünglich sollte dies hier ja nur ein veganer Bio-Reiseblog werden (alle drei Punkte machen mich glücklich), nun ist er mit dem Motto “Tagesreisen zu Glück und Schönheitssinn” doch umfassender als geplant – und ich brauche nicht über einzelne Bio-Teebeutel in irgendeinem blutigen Steakhaus berichten.

Und in diesem Moment:

Von Ferne grüßt die Wartburg Eisenach,
Eisenach, das ich noch nie gesehen, nur durchfahren hab,
Eisenach, das Klaus scheu gemieden, aus dem seine Mutter stammt.
Eisenach in Thüringen wie Greiz.
Back to the roots für Klaus, wenn wir nach Thüringen ziehn.
Thüringen, das ich hegen, pflegen und lieben will.

 

Mittwoch, 5.9.2018: Beziehungsglück

14.02.2014: Hochzeit im Stuttgarter Neuen Schloss. Mein Vater ist Trauzeuge.

Heute vor sechzehn Jahren habe ich Klaus zum ersten Mal geküsst – dieses Datum ist in unsere Eheringe eingraviert. Exakt einen Monat zuvor, am 5.8.2002, hatten wir uns kennengelernt, in der S-Bahn vom Stuttgarter Flughafen Richtung Innenstadt. Ich kam gerade von einer Urlaubsreise durch Südnorwegen zurück und war ziemlich aufgedreht, weil gepäcklos – meine Habseligkeiten drehten noch in Amsterdam auf dem Förderband. Als in Leinfelden ein schwarz gekleideter, schlanker, dunkelhaariger Mann mit grauen Augen zustieg, dessen Rucksack sperrangelweit offen stand, sprach ich ihn sofort an. Wir unterhielten uns angeregt, und als ich an der Schwabstraße aussteigen musste, gab er mir seine Telefonnummer.

So fing es an. Wir trafen uns in den nächsten Wochen häufig, aber es blieb platonisch, bis ich ihn am besagten Septemberabend fragte, worum wir eigentlich die ganze Zeit so intensiv diskutierten – um eine Freundschaft oder eine Beziehung?

Eigentlich war alles klar. Und während ich bis zu diesem Moment immer verhütet hatte, haben Klaus und ich von der ersten Nacht an dies nicht getan – wir wollten beide ein Kind miteinander. Der errechnete Geburtstermin für Lenja war der 3.6.2004. Aber wie ein Freund, der Hexer Peter, so treffend sagte: “Wenn du möchtest, dass sie erst am 5.6. auf die Welt kommt, wird genau das auch geschehen.”

Und so kam es denn, allerdings bescherte es mir weit über dreißig Stunden Wehen, denn die begannen pünktlich schon am 3. Juni. Aber die 5 ist nun einmal unsere Glückszahl…

Ich habe einen wundervollen Mann und eine ganz besondere Tochter bekommen. “She is going the fairy way”, sagte mein Kollege Alastair schon, als sie gerade anfing zu laufen. “Und wie geht es deiner Elfe?” wollte erst diese Woche eine Bauchtanzfreundin wissen. Uns als Eltern war es immer wichtig, nicht-direktiv ihr gegenüber zu sein. Sie sei hochbegabt, wird immer wieder vermutet, für uns zählt aber nicht, ob sie das Abitur macht, sondern dass sie ein freier (auch frei denkender), glücklicher Mensch wird.

Geheiratet haben wir erst sehr spät, an einem Tag, dessen Quersumme ebenfalls 5 ist: am 14.02.2014, dem Valentinstag. Wir waren das erste Brautpaar, das sich im Stuttgarter Neuen Schloss das Ja-Wort gegeben hat (siehe Foto), Lenja durfte die Urkunde mit unterschreiben und bekam ebenfalls einen Ring – ihrer ist aus Silber, unsere sind aus Russengold. Zwei Hänse fungierten als Trauzeugen – mein Vater und Klausens Halbbruder.

Ich habe es nie bereut, Klaus geheiratet zu haben – er ist für mich ein idealer Mann, und häufig bin ich schon um ihn beneidet worden. Auch unsere Tochter bestätigt uns, dass wir weit weniger streiten als alle anderen Eltern, die sie kennt (hmm, ganz sicher bin ich nicht: eventuell streitet meine Erfurter Freundin genauso selten mit ihrem Mann).

Vielleicht steht ja Beziehung bei Ihnen nicht auf der Prioritätenliste – für mich aber (wie Sie auf der Seite links nachlesen können, “Über mich und diesen Blog”) sind lieben und mich lieben lassen ganz oben bei den Charakterstärken, die mich glücklich machen – zusammen mit dem Schönheitssinn, um den es ja neben dem Glück im allgemeinen in diesem Blog geht. Klaus und Lenja sind mein großes Glück.

Und so habe ich meinem Mann gestern auf dem Rückweg von der Ergotherapie eine rote Strauchrose gepflückt, Kornelkirschen und ein paar Brombeeren, die ich zufällig noch entdeckte (er liebt Brombeeren sehr). Na ja, und ein Kuss durfte natürlich auch nicht fehlen!

Samstag, 1.9.2018: Karlsruhe – Das persische Café

Meine Familie und ich haben die Nacht in der Jugendherberge Karlsruhe eher schlecht als recht verbracht – werden aber mit dem vermutlich besten Frühstück entschädigt, das ich je in einer Jugendherberge genossen habe: Kaffee, Milch, Kakao und sämtliche Tees sind Bio und teilweise Fairtrade, und es gibt vier verschiedene vegane Pasteten zu wirklich frischen Brötchen in reichhaltiger Auswahl, nebst Obstsalat, Gurken und Tomaten.

Gegen neun Uhr haben wir ausgecheckt und schlendern auf neuen Wegen Richtung Süden zum Hauptbahnhof. Wir erkunden einen großen Flohmarkt, ohne etwas zu kaufen und landen schließlich in der Waldstr. 81 in einer persischen Café-Creperie, Safran, von einer noch jungen, unverschleierten Frau geführt, die begeistert von unserer Stuttgarter Oper schwärmt, als sie erfährt, woher wir kommen. Neben unseren Espressi gibt es wundervollen, selbst hergestellten Wassermelonensaft und persisches Gebäck mit Pistazien und Kardamom – köstlich. Das Café ist gleichzeitig ein Teeladen, mit Dutzenden von Sorten, mit japanischen Teekännchen, aber auch etwas persischer Keramik, und das alles zwar modern eingerichtet, aber gleichzeitig von bunten Lämpchen in wechselnden Farben beleuchtet. Das macht Freude! Und erinnert mich gleichzeitig an ein magisches Buch, das ich vor Jahren gelesen habe: „Das persische Café“ – ein Roman mit Rezepten von Marsha Mehran, © Limes Verlag 2005 (sehr empfehlenswert).

Danach führt der Weg uns wieder an der Mauer des Zoologischen Stadtgartens entlang zum Hauptbahnhof, wir müssen uns mehr beeilen, als uns lieb ist – zu schön war es in Karlsruhe.

Der Nachmittag in Stuttgart verläuft ruhig, Freundin Maja ruft an und Freundin Lilian kommt zu Espresso und Sonnentor-Glückstee zu Besuch, wir alle sind etwas müde, aber guter Dinge.