Der Garten der schönen Melodie – Qing Yin –

Eingang in den Stuttgarter Chinesischen Garten

Wie ein Tor in eine andere Welt: Das ist der Eingang zum kleinen, verborgen in Stuttgarter Halbhöhenlage erbauten Nationengarten, direkt neben Weinbergen, umbraust vom Verkehr. Geschaffen wurde er von Gartenbaumeistern aus Baden-Württembergs chinesischen Partnerprovinz Jiang Su zur IGA 1997 – und mutet an wie eine Oase der Stille aus längst vergangenen Zeiten.

Er ist ein Mikrokosmos, in dem bizarre Steine Gebirge und Teiche Meere darstellen, in dem die vier Jahreszeiten, Leben und Tod, hart und weich, dunkel und hell als Gegensätze vereint zu einem Ganzen erfahrbar sind. Sein Name stammt aus einem alten Gedicht der Tang-Dynastie (618-907 u.Z.), nach dem nicht nur Flöte und Laute, sondern auch Berg und Wasser eine schöne Melodie ergeben – Poesie übersetzt in Architektur und Kalligraphie. Gedichtauszüge zum Nachfühlen verkörpert er: Berge und Wasser sind so freundlich. Halle der Freundschaft (um dort Tee zu trinken, wenn sie geöffnet ist):

Halle der Freundschaft

Drachen. Stehende Wolken. Zehntausend Kiefern in der Jahreszeit, immergrün (ich liebe Kiefern). Ein schmaler Bach fällt in einen tiefen Teich. Pavillon der vier Seiten und acht Himmelsrichtungen.

Dieser Garten soll die Unsterblichen herein locken, damit wir Menschen an ihrer Unsterblichkeit teilhaben können. Es waren ihrer acht, sieben Männer und eine Frau, die allen Menschen in Not beistehen und gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung kämpfen. Diese Ba Xian verkörpern die acht grundlegenden Lebensbedingungen: Jugend, Alter, Armut, Reichtum, Adel, Volk, Weibliches und Männliches. Der eine ist Schutzheiliger der Barbiere, der nächste der Kranken, einer ist zuständig für das Militär, der andere für Musiker (er trägt die Flöte der sechs heilenden Melodien), noch einer für Schauspieler und einer für alte Leute.

Interessant sind Lan Cai He und He Xian Gu. Ersterer ist androgyn, ein schamanischer Transvestit und heiliger Narr. Lan Cai He kann sowohl Junge oder Frau sein, verkörpert die Ausgestoßenen und Verrückten und schützt die Blumenhändler.
Letztere ist auf jeden Fall weiblich, eine Frau mit Lotosblüte oder Blumenkorb und dem Pfirsich der Langlebigkeit sowie einer Mundorgel in den Armen. Sie erreichte Unsterblichkeit wegen ihrer Freigebigkeit und strengen Askese – und statt um das Jahr 700 u.Z. herum der Kaiserin zu gehorchen, stieg sie lieber in den Himmel auf. Vielleicht begegnest du ihr im Pavillon der acht Himmelsrichtungen?

Adresse: 70174 Stuttgart, Ecke Birkenwald-/Panoramastraße, erreichbar mit dem 44er Bus ab U-Bahn Stadtbibliothek/Türlenstraße Richtung Killesberg, geöffnet täglich ab 8 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.

 

1001 Nacht: Glück ist relativ!

Scheherazade und König Schahriyar, Gemälde von Hermann Emil Sprengel (1881)

 

Obwohl die kluge persische Wesirstochter Scheherazade Nacht für Nacht um ihr Leben erzählt, vergisst sie doch nicht zu scherzen. Denn auch das Lachen des Königs ist Teil ihrer Gesprächstherapie, selbst wenn es in diesem Fall ein eher grobschlächtiges Lachen sein mag. So fragt sie in der 916. Nacht: Was ist Glück? Und antwortet natürlich gleich selbst:

“Man fragte einen König: Was ist Glück? – Dass du deinen Freund für immer hast und deinen Neider dir vom Halse schaffst.
Man fragte einen Dichter: Was ist Glück? – Süßholz raspeln, ohne sich zu verhaspeln.
Man fragte einen Kämpfer: Was ist Glück? – Ein Schwert, das schnell gezückt, und ein Auge, das scharf blickt.
Man fragte einen einfachen Mann: Was ist Glück? – Wenn die Ehefrau schick ist und der Geldbeutel dick ist.
Man fragte einen Edelmann: Was ist Glück? – Sich an altem Wein berauschen und in erlesener Runde plauschen.
Man fragte einen Inder: Was ist Glück? – Ein unvermuteter Kuss.
Man fragte einen Richter: Was ist Glück? – Kluge Köpfe, die verstehen, was ich sage, und den Urteilsspruch hinnehmen ohne Klage.
Man fragte einen Schreiber: Was ist Glück? – Feines Papier, dazu Tinte, glänzend und klar, und ein schlankes, scharf geschnittenes Rohr.
Man fragte einen Verliebten: Was ist Glück? – Den Geliebten wiederzusehen und die nächste Gelegenheit auszuspähen.
Man fragte einen Sänger: Was ist Glück? – Eine Zusammenkunft von vernünftigen Leuten, die kein unnützes Geschwätz verbreiten, und eine Laute mit sauber gestimmten Saiten.
Man fragte einen Schmarotzer: Was ist Glück? – Junge Leute mit Töpfen voll Essen, deren Herzen nicht vom Geiz zerfressen und die ihren Nächsten nicht vergessen.
Man fragte einen Asketen: Was ist Glück? – Dass ich an meinem Todestage nicht verzage.
Man fragte einen Klugen: Was ist Glück? – Ein Freund, dem du vertrauen kannst, und ein Feind, den du durch falsche Freundschaft bannst.
Man fragte einen Kuppler: Was ist Glück? – Ein Verliebter, dem das Stelldichein gefällt und der mir nachher nicht die Zeche prellt.” (zitiert nach: Tausendundeine Nacht. Das glückliche Ende. C.H. Beck Verlag, München 2016)

Das Glück für Scheherazade mag darin liegen, auch diese 916. Nacht zu überleben und zu sehen, wie ihre Märchentherapie gelingt und sie den König fast schon gänzlich geheilt hat.

Worin liegt dein Glück?