Die Färöer: Das Land von sowohl – als auch (FO/DK)

FäröischesSchafAusgemalt
Ein färöischer Widder unterhält sich mit einem Paar in Tracht (ausgemalt von Barbara)

“The land of maybe” nannten die britischen Besatzungssoldaten zwischen 1940 und 1945 die Färöer. Denn “maybe”, also: vielleicht, war die übliche Antwort der einheimischen Färinger auf die Frage, ob der Weg x morgen passierbar sein oder der Flughafen am Abend im dicken Nebel verschwinden würde. Das Wetter auf den magischen Färöern ist unberechenbar – und die Menschen hier nehmen’s gelassen.

jeder mensch ist künstler*in

Aber nicht nur ein Vielleicht zeichnet das Leben hier aus, sondern ebenfalls ein Sowohl – als auch. Der Fahrer, der uns tagsüber in einem der kostenlosen, etwas klapprigen Stadtbusse durch Torshavn kutschiert, ist vielleicht abends Rockmusiker. Die Verkäuferin in der Design-Boutique arbeitet bestimmt nebenbei als Silberschmiedin. Denn soviel Kunst, Musik, Literatur und Design, wie uns die knapp 54.000 färöischen Menschen zeigen, kann es nur geben, wenn alle in ihrer Freizeit singen, malen, schreiben, stricken – also kreativ sind. 

Papageienwal in unserem Ferienhaus

Jedes Ding hier scheint ein zweites Gesicht zu haben: Der Felsen dort ist ein Troll. Da, wo das geisterhafte Huldrefolk wohnt, sollte man keine Straße bauen. Die Seeanemone im Meer, die wie eine Pflanze ausschaut, ist ein Tier. Eine Ente im Stadtpark-Wald sieht aus wie ein Truthahn (und entpuppt sich im Internet als Warzenente). Viele Schafe sind schwarzweiß gefleckt wie Kühe. Das Boot ist ein Wal – oder ein Papageientaucher. 

William Heinesens Liv (1977) interpretiert von Barbara

Rhabarber wächst zwei Meter hoch, doch die Bäume bleiben häufig klein. Der international berühmte färöische Schriftsteller William Heinesen (1900-1991) war gleichzeitig Grafiker und Komponist. Das Dach unseres schwarz geteerten Holzhauses ist ein mit Birkenrinde nach unten abgedichteter sattgrüner Torfrasen.

Hier arbeiten die  musen zusammen

Aber nicht nur das: Gern werden die musischen Hauptgattungen auch miteinander verknüpft. Und so fordert uns das Kunstmuseum Listasavn in Torshavn bei einigen Bildern auf, mit dem Handy einen QR-Code einzuscannen und in Betrachtung des Gemäldes die Musik zu hören, die genau dazu komponiert worden ist. Laut, damit die anderen im Museum auch etwas davon haben. Oder: Auf den CDs Kristian Blaks, eines der bedeutendsten zeitgenössischen Jazzkomponisten hier, werden Gedichte rezitiert.

Die Färinger leisten sich: eine eigene Universität, alljährlich ein riesiges Musikfestival namens Sommertónar (mit 2022 knapp 200 Konzerten zwischen Mai und September!), ein eigenes CD-Label (TUTL), einen eigenen Fernsehsender (Sjónvarp), ein eigenes Symphonieorchester, das sich auch vor dem Zusammenspielen mit der Metalband Týr nicht scheut – und vieles mehr.

der färöische kettentanz

Ohne diese Liebe zu Kunst und Kultur, die den ganzen Alltag durchwebt, hätten die Färinger als eigenständiges Volk mit Autonomiestatus innerhalb des dänischen Königreichs nicht überlebt. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts zählten sie nicht mehr als viertausend Seelen – eigentlich zu wenig, um eine ganz besondere altnordische Sprache und Kultur zu bewahren. Aber die Färöer tanz(t)en ihren traditionellen, noch aus dem Mittelalter stammenden Kettentanz. Zu ihm wurden über die Jahrhunderte hinweg die vielen, bis zu hundertstrophigen Balladen gesungen. Und der- oder diejenige, die/der die meisten Gedichte auswendig kannte, genoss hohes Ansehen in der Gemeinschaft. Auch heute noch wird zum Beispiel auf Familienfesten stundenlang zusammen gesungen und getanzt. Und alle sind stolz auf ihre Eigentümlichkeiten. So überlebt eine Kultur mit nur wenigen tausend Muttersprachler*innen zwischen Felsen, Trollen, Stürmen, norwegischen Überfällen und dänischer Kolonisation bis zum heutigen Tag.

Links:
* National Gallery of the Faroe Islands Listasavn, Gundadalsvegur 9, FO-110 Tórshavn, https://art.fo/
* Kristian Blak, Reynagöta 12, FO-100 Tórshavn, https://www.kristianblak.com/ 
* über William Heinesen: http://visittorshavn.fo/william-heinesen/
* Fernsehsender Sjónvarp: https://kvf.fo/nskra/sv
* Der Shop des Labels TUTL befindet sich in der Niels Finsensgöta 9c, FO-Tórshavn, https://www.tutlrecords.com/

Mit der M/S Norröna auf die Färöer (FO/DK)

Smyril Line
Auf der M/S Norröna, der Fähre der färöischen Reederei Smyril Line

Viele Deutsche haben das Wort Färöer vielleicht schon gehört, können aber nicht wirklich sagen, was und wo das ist. Die Färöer, also “Schafsinseln”, liegen nordwestlich von Schottland mitten im Atlantik. Sie gehören zu Dänemark, sind aber, genauso wie das ebenfalls dänische Grönland, autonom.


Vom Nordwesten Dänemarks, dem kleinen Ort Hirtshals, verkehrt regelmäßig eine Autofähre dorthin. Sie gehört der Reederei Smyril Line, benannt nach dem färöischen Wort für den kleinen Raubvogel Merlin. Und sie dient – ähnlich wie die Hurtigruten in Norwegen – gleichzeitig der Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Gütern.

die anreise


Allein schon die Fahrt nach Hirtshals erscheint uns, die wir Deutsche Bahn gewohnt sind, wie ein stressiges Abenteuerlein gleich zu Beginn: Wir müssen an einem Samstag von süddänischen Padborg aus fünf Mal umsteigen, Start 7.06 Uhr, geplante Ankunft 13.24 Uhr, Ablegen der Fähre 16.30 Uhr. Noch dazu gibt es ausgerechnet an diesem Wochenende auf einem Teilstück Schienenersatzverkehr. Während aber die DB teilprivatisiert ist und Geld erst zurückerstattet, wenn der Zug mehr als zwei Stunden verspätet ist, zahlt ihr hiesiges Pendant DSB schon bei einer Verspätung ab 20 Minuten. Und vielleicht macht das ja den Unterschied aus – jeder unserer Züge ist pünktlich, der Bus sogar überpünktlich! Wir entspannen uns. 


Die nächste Überraschung erwartet uns dann in Hirtshals: Direkt am Bahnhof gibt es einen Zubringerbus zur Smyril Line. Wir hatten uns bereits auf eine gut 3 km lange Wanderung mit schwerem Gepäck durchs Industriegebiet eingestellt und zahlen deshalb gern die 30 DKr (rund 4 €) pro Nase, die dieser Service extra kostet.

wir gehen an bord


Die Fähre ist riesengroß, aber jetzt, gegen Ende August, schon nicht mehr ganz ausgebucht, sodass wir einen kostenlosen Upgrade von “mit eingeschränkter Aussicht” auf “volle Aussicht” bekommen.


Kaum an Bord, heißt es, die Uhren auf färöische Zeit umstellen, eine Stunde zurück. Dann beginnen wir, das Schiff zu erkunden, das für zwei Nächte unsere Heimat sein soll. Es hat zehn Decks, die natürlich nicht alle betreten werden dürfen. Jede Kabinentür ist mit einem anderen Tier bemalt, bei uns mit einem Dorsch/Kabeljau (auf färöisch Toskur), und dadurch ein klein wenig individuell.

alte fotos erzählen geschichte


Im ganzen Schiff sind die Wände mit Vergrößerungen alter färöischer Schwarzweiß-Fotos tapeziert, mit Bilderklärungen in drei Sprachen, darunter deutsch. So lässt sich schon einiges über die Inselgruppe erfahren. Außerdem aber gibt es kostenlose Reiseführer. Sie sind sehr ausführlich und liebevoll geschrieben, von Menschen, die ihre Heimat wirklich kennen und mögen.


Langsam verschwindet das Festland am östlichen Horizont, die Wellen werden etwas stärker. Die Sonne scheint, und das Schiff ist groß, trotzdem spürt man den Seegang ordentlich. Und auf dem zweiten Deck, wo sich (im Preis inbegriffen) Fitnesscenter, eine kleine Sauna und ein Schwimmbad befinden, sieht man es auch: Wir haben ein richtiges Wellenbad, ausgelöst nur durch die Schwankungen der Fähre! Eine Gaudi für alle Kinder und natürlich auch für uns Erwachsene.


Mein Mann liebt es am meisten, auf Deck 9 ganz vorn am Bug hinter Plexiglas-Windschirmen zu sitzen und aufs Wasser und den Horizont zu schauen. Ich kann auf Deck 10 morgens fast gänzlich ungestört am Heck meine Meditationsgymnastik machen.


Und im Schiff, da hat es mir auf Ebene 5 vor allem die Café-Bar-Bücherei angetan, wo am ersten Abend ein junger Färöer recht gut zur Gitarre singt, Beatles, Bobby McGee, färöische und auch dänische Lieder. Ich bin nicht die einzige, die mitsingt.


Am Sonntag Nachmittag passieren wir die Shetland Inseln auf der Steuerbordseite. Und dann steuern wir nordwestlich über den offenen Atlantik, mit bis zu 2,50 Meter hohen Wellen.  Montag früh gegen 7.30 Uhr erreichen wir Torshavn, die Hauptstadt der Färöer.

Deutschsprachige Webseite der Reederei: https://www.smyrilline.de/

Elfenwiese, Rumpelstilzchen und Hexenkraut in Glücksburg (D)

An den Ochseninseln vorbei über die Flensburger Förde

Mit der M/S Viking schippern wir von Flensburg über die Förde nach Glücksburg. Es herrscht schönstes Augustwetter, ohne ein Wölkchen am Himmel. Dazu gibt es Schauergeschichten. Via Lautsprecher erfahren wir im launigen Ton, wo der Galgen stand, wie Margrethe I. zu Tode kam und von den 14 Hexen, die in Flensburg ermordet wurden – von Johann Brade (vor 1548) bis Catharina Jensen (im Jahre 1620). Aber das trübt 2022 die Stimmung der Mitreisenden nicht.

heute back ich, morgen brau ich
Rumpelstilzchen im Wald

Vom Schiffsanleger in Glücksburger Ortsteil Sandwig heisst es erst einmal, Richtung Innenstadt laufen, knapp 2 km durch den Wald! Immer wieder stoßen wir dabei auf Kunstwerke, darunter Hartmut Mahlers “Rumpelstilzchen” – offenbar hat ihn ein Stück Holz an den Zwerg erinnert.

 
café am schloss
Glücksburg – Café am Schloss (beim Rosarium)

Im Zentrum besuchen wir zunächst einmal das Café am Schloss aus dem Jahre 1833 (direkt neben dem äußerst sehenswerten Rosarium gelegen) und gönnen uns im rauchfreien (!), romantischen Garten ausnahmsweise etwas Unveganes. Wir bereuen es nicht. Mein Käsefrühstück (gibt’s bis 12 Uhr) ist extrem lecker und besteht aus:

FEINE AUSWAHL AN BLÜTENKÄSE, ALLGÄUER BERGKÄSE MIT
MANGOCHUTNEY, FEIGENKARREE, SAHNIGER FRISCHKÄSE
MIT HAUSGEMACHTEM PESTO, WEIDEBUTTER,
ERDBEERMARMELADE, DAZU ALLERLEI SCHMACKHAFTE DEKO,
EIN KORB MIT OFENFRISCHEN BRÖTCHEN UND
SCHWARZBROT.

Dazu trinke ich einen Earl Grey namens “Watt denn hier los”. Er stammt von der Hamburger Teemanufaktur Samova und ist sogar Bio! Einzig der Espresso schmeckt mir zu bitter. Aber ansonsten: Ich komme auf jeden Fall wieder!

dolmenpfad und elfenwiese
Grab 4 des Dolmenpfads

Dann laufen wir weiter zum Staatsforst Friedeholz im Norden dieser nördlichsten Stadt Deutschlands (Alternative: Bus Linie 21, Haltestelle Schwennaustraße). Was hier beginnt, ist ein wahrer Zauberwald, mit Wildschweingehege und dem 4,6 km langen Dolmenpfad, der vorbeiführt an mehr als zehn Grosssteingräbern der Jungsteinzeit und bronzezeitlichen Grabhügeln. Wer wurde hier im Buchenwald bestattet? Die Schaman*innen des Ortes, die vielleicht auch gleichzeitig weltliche Führer*innen waren? An Grab Nr. 4 sehe ich eine kleine Frau im langen, weißlichen Wollgewand vor mir, die zusammen mit den anderen Leuten des Dorfes ihre Vorgängerin beerdigt.

Die Elfenwiese

Rund um die geheimnisvolle Elfenwiese führt dieser Dolmenpfad. Schwarzbackige Grasfrösche, winzig kleine und große, hüpfen über unseren Weg. Der Elfentanzplatz ist ein 3,5 ha großes Hochmoor, das zwar inzwischen trockener wird (immer mehr Birken wachsen dort), aber nach wie vor nur von leichtgewichtigen Elfen und Feen überquert werden kann. Wir setzen uns auf eine Bank am Rande und beobachten eine große Königslibelle. Morgens, wenn die Nebel vom Wasser aufsteigen, vermeinen Einheimische hier in Schleier gehüllte Wesen tanzen zu sehen, und die abgestorbenen Bäume tun ihr Übriges. Aber es ist früher Nachmittag, und so genießen wir einfach den Wald, die Aussicht und die Stille. Binsengras wächst hier und ganz in der Nähe auch Wollgras.

Das unscheinbare Hexenkraut

Wie es sich für einen echten Zauberwald gehört, gibt es überall blutstillendes Hexenkraut (Circaea lutetiana) mit seinen kleinen weißen Blüten. In früheren Jahrhunderten war es so selten, dass frau es nur fand, wenn sie sich hoffnungslos verirrt hatte. Dann aber konnte sie es für Liebeszauber verwenden und zum Schutz des Viehs, sofern ihr der Weg nach Hause doch noch glückte. Schon ein Blütlein täglich genügte den Frauen, um sich für das andere Geschlecht attraktiver zu machen.

 

Ein wunderbar kühler, feuchter Kraftplatz ist dieser Wald an einem heißen Sommertag wie diesem – hoffentlich kann ich ihn bald wieder besuchen!

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