Mittwoch, 21.3.2018: Die 7 Farben des Glücks

Die sieben Farben des Glücks – das sind die Farben des Regenbogens plus weiß – oder kennen Sie jemanden, der nicht beim Anblick eines Regenbogens glücklich ist? Die folgende Geschichte habe ich am 20.3.18 zu schreiben begonnen. Sie startet mit dem energieärmsten Licht, dem Rot, und ist nicht fertig. Wollen Sie sie weiterschreiben?

1. Krimsekt

Dr. Vassiljew wirkte mehr resigniert als vorwurfsvoll. „Warum sind Sie nicht früher gekommen?“, fragte er, obwohl es eigentlich keine Frage war. Was sollte Maria ihm darauf antworten? Sie zuckte die Schultern. Im Dorf Kopatschi, aus dem sie stammte, ging man nicht zum Arzt, sondern kurierte sich selber. Mit Beifuß zum Beispiel, auf russisch Tschernobyl, wie das nahe gelegene Kraftwerk. Oder mit Wodka. Sie hatte als Kindergärtnerin im Dorf gearbeitet. Heute war der Kindergarten das einzige Gebäude, das im Dorf noch stand. Der Kindergarten und ein Kriegerdenkmal. Erst sechs Tage nach dem Reaktorunfall wurden die gut tausend Einwohner ihres Dorfes evakuiert, es musste alles ganz schnell gehen und sollte ja auch nur für kurze Zeit sein. Was genau passiert war im Kernkraftwerk, erfuhren sie nicht. Und aus der kurzen Zeit waren mittlerweile fast 32 Jahre geworden. 32 Jahre, in denen dreißig Kilometer rund um Tschernobyl niemand dauerhaft wohnen durfte. Sperrzone. Einige alte Leute waren trotzdem zurückgekehrt, und die Behörden übersahen es geflissentlich. Maria nicht.

Zwei Koffer hatte Maria damals mitgenommen, und ihre Liebe zu Pflanzen und zu Kindern. Vier Jahre später lebte sie immer noch auf der Krim, und hinzugekommen war eine Liebe zum dortigen Sekt. Rot und süß musste er für sie sein. Rot und süß wie die Liebe zu Martin, einem Stuttgarter Ingenieur auf Auslandseinsatz. Martin war zwanzig Jahre älter als sie, aber was machte das?

Sie folgte ihm ins Schwabenland, in ein Häuschen zwischen Lemberger- und Trollingerreben. Nein, mit ihrem Krimsekt konnten es die Württemberger Weine nicht aufnehmen, aber sie gewöhnte sich an sie, sogar an den Schillerwein, lernte schnell Deutsch und arbeitete bald wieder in einem Kindergarten. Eigene Kinder bekamen Martin und sie nicht, obwohl sie es sich gewünscht hätte. Sie trauten sich nicht nachzuforschen, woran es lag. Dann starb Martin plötzlich. Ganz unglücklich rutschte er vom Dach des Gartenhäuschens ab, das er reparieren wollte, und brach sich das Genick. Rot und süß war die Liebe zwischen ihnen bis zum Schluss geblieben, und nun sah sie, wie die Nachbarn verständnislos den Kopf schüttelten, wenn sie glaubten, sie sähe es nicht. Den Kopf schüttelten darüber, wie ein Mann in Martins Alter noch auf das Dach eines Gartenhäuschens steigen konnte, um es zu reparieren. Obwohl sie es aus Gründen der schwäbischen Sparsamkeit andererseits natürlich sehr gut verstanden.

Damals war Maria sehr froh gewesen, dass sie die Stelle im Kindergarten hatte, trotzdem Martin ihr immer wieder gesagt hatte, dass es bei seinem Einkommen als Ingenieur bei Bosch nicht wirklich notwendig sei, dass sie arbeiten gehe. Nun war Martin schon zehn Jahre tot, aber die Kinder, die hatte sie immer noch. Die Kinder und ihre Streifzüge durch Wälder, Wiesen und natürlich auch Weinberge, sofern sie nicht gerade frisch gespritzt waren.

In den letzten Wochen jedoch war sie nach der Arbeit immer gleich nach Hause gegangen. Sie fühlte sich müde und schwach, bekam schließlich eine Erkältung und leichtes Fieber. Ja, Zahnfleischbluten und blaue Flecken hatte sie auch, aber das war nichts Besonderes, die Zahnbürste hätte sie längst schon einmal wechseln sollen, und manchmal wusste sie nicht, woher ihre blauen Flecken kamen. War sie an die Ecke eines Tisches gestoßen? Musste sie eine Rauferei zwischen zwei Jungen trennen? Als aber das leichte Fieber auch am Wochenende schier nicht sinken wollte trotz all ihrer Hausmittel und sie nachts stark zu schwitzen begann, beschloss sie, doch einmal ihren alten russischen Hausarzt aufzusuchen. Der stammte zwar aus Moskau, war ihr aber manchmal doch näher als die deutschen Nachbarn.

Vassiljew wollte sie sofort ins Katharinenhospital einweisen, doch sie hatte müde lächelnd abgewinkt. „Geben Sie mir den Befund mit, Doktor. Ich muss noch ein paar Dinge regeln, morgen gehe ich dann ins Krankenhaus.“

Nun stand sie auf der Straße. Aber wollte sie wirklich ins Krankenhaus? Unbehandelt, hatte Vassiljew erklärt, würde sie binnen weniger Wochen an Leukämie sterben, und auch mit Behandlung stünden ihre Chancen nicht besonders gut. „Nicht besonders gut“, genau das waren seine Worte gewesen.

Ohne darüber nachzudenken, ging sie zur Bushaltestelle. Rosen- Ecke Seidenstraße, dort stand die Russische Kirche. Rote Rosen hatte sie zur Hochzeit mit Martin getragen, aber nicht die langstieligen dunkelroten, sondern prallgefüllte feuerrote. Ihre Eltern hatten sie atheistisch erzogen, nur die Großmutter hing dem alten Glauben an und schimpfte heimlich auf die gottvergessenen Atheisten.

Seit Maria in Stuttgart lebte, nahm sie manchmal an Gottesdiensten teil und trug in ihrer Tasche immer ein Kopftuch bei sich. Sie wusste nicht, ob sie wirklich glaubte oder nicht, aber sie mochte die Zeremonien, das stundenlange Stehen und sich tief verbeugen, und der Sprechgesang und die russischen Kirchenlieder gingen ihr zu Herzen. Heute war Montag und das Backsteingebäude für Touristen geschlossen. Aber sie wusste, wer den Schlüssel hatte. Der Diakon war auch tatsächlich zu Hause. Er schaute ihr in die Augen, schloss ohne zu fragen auf und ließ sie allein. Die Wände waren mit golden hinterlegten Bildern geschmückt, auf dem Boden lagen rote Teppiche und entlang dreier Wände zogen sich mit rotem Samt bezogene Bänke entlang. Der heilige Nikolaus war da, und Engel über Engel. Vor allem die Engel fielen ihr heute auf. Vor einem Marienbild entzündete sie eine Kerze und setzte sich auf die Bank an der Rückwand der Kirche. Sie war müde, so müde. Ein Engel müsste man sein, ein Engel, der fliegen konnte. Nicht fallen wie Martin, fliegen. Da war der segnende Jesus, ein aufgeschlagenes Buch in der rechten Hand. Neben ihm ein Engel mit Lanze in grünem Umhang, mit roten Socken. Der Engel im roten Umhang mit roten Socken, neben der Maria mit dem Jesuskind, trug ein Schriftstück. Was wollten sie ihr sagen?

Sie hörte ihre Großmutter. „Kindchen, glaub denen da oben nicht.“ Damit hatte sie nicht Gott, sondern die Kommunisten gemeint. Und die Ärzte und überhaupt alle Menschen, die sich als etwas Besseres dünkten. „Koch dir einen Borschtsch, dann wird alles wieder gut. Borschtsch ist so gut wie Gold.“ Warum fiel ihr das gerade jetzt ein? Wegen der rotbestrumpften Engel auf goldenem Grund? Maria lächelte in sich hinein. Ein Borschtsch würde ihr guttun.

Sie brachte dem Diakon noch immer lächelnd den Schlüssel zurück. Ihre Augen glitzerten. Er schaute sie fragend an, meinte aber nur zum Abschied: „Tochter, wenn du mich brauchst, kannst du jederzeit anrufen.“ Maria nickte.

Sie fuhr in die Innenstadt und ging in Stuttgarts berühmtesten Feinkostladen, kaufte Rote Beete, saure Sahne, Weißbrot, drei Flaschen roten Krimsekt und echten Kaviar und Hühnereier. Woher kam plötzlich ihre Energie? War ihr Fieber verflogen?

Zuhause angekommen, holte sich Maria zunächst eine Gartenschere und einen Korb, ging in den Garten und pflückte alle frühen Rosenblüten, weiße, rosafarbene und die knallroten von ihrer Hochzeit vor so vielen Jahren. Sie dufteten verführerisch! Dazu Wiesen-Bärenklau, die jungen Blätter und Stängel…

(c) auch auf den Titel by Barbara Pfeifer 2018

Dienstag, 20.3.2018: Heute ist unser Weltglückstag!

Von Juniperusco – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46637218

2011 hat Bhutan ihn bei der UN beantragt – und das ist natürlich kein Zufall, misst doch dieses kleine Himalayvolk staatlicherseits schon lange das Bruttonationalglück seiner Bürgerinnen und Bürger als Ziel von Entwicklung und Politik.

Seit 2013 dürfen wir nun auch weltweit am 20. März den Internationalen Tag des Glücks begehen. Die Definition des neuen ökonomischen Paradigmas soll laut UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon sein (zitiert nach Wikipedia):

Wir brauchen ein neues Paradigma für die Wirtschaft, welches die Gleichwertigkeit der drei Nachhaltigkeitssäulen beachtet. Wohlergehen in puncto Sozialem, Wirtschaft und Umwelt sind dabei nicht voneinander zu trennen. Zusammen definieren sie das globale Brutto-Glück.“

Ein Aktionstag soll unser Weltglückstag sein: Was fällt Ihnen heute dazu ein? Vielleicht ein gemeinsames Projekt mit Eckart von Hirschhausen, dem Happiness Promoter des Jahres 2015? Auch die Freiburg-Breisgauer scheinen besonders aktiv zu sein, was Glücks-Actions anbelangt, sie haben bereits eine Bank der Begegnung und diverse Glückssteine initiiert.

Freitag, 15.12.2017: Stuttgart – Wie alles beginnt

Ich schaue im Spiegel den Himmel an, der wie helles, freundliches Silber strahlt. Vor ihm – dem Himmel – zeichnet sich dunkelgrau und fein ziseliert die riesige Fichte aus dem Garten der sonderlichen Nachbarsfamilie ab. Es ist noch früh für einen Dezembertag, kurz nach acht Uhr morgens. Vor der Balkontür haben wir wie jeden Abend zwei Plastikkisten geparkt, zum Schutz vor unserer Katze, die ansonsten gerne nachts mit den Vorderpfoten gegen die Scheibe trommelnd Einlass begehrt. Nun hat sie sich hoch gestreckt, und auf der niedrigeren Kiste abgestützt blickt sie herein, murkelt und mäht und begehrt wiederum: Einlass! Sie wird nörgelig auf ihre alten Tage, unsere Kalas.

Ich bleibe noch ein Weilchen im Bett, schlürfe den Espresso, den mein Mann Nikolaus mir gebracht hat und schaue den Worten zu, die aus meinem Kopf heraus drängen und sich auf dem Berberteppich ausbreiten. Gegen halb neun erstrahlt kurzfristig die Sonne an einem Rokokohimmel und lässt die gegenüberliegenden Weinberge aufleuchten. Ich erhebe mich vom Tatami, baue die Kistensperre ab, und Kalas rennt herein.

Auf dem Damenklo denke ich an das Buch, das ich gerade lese, Boris Vians L‘Écume des jours, der Schaum der Tage, und überlege, warum französische Tage schäumen, während unsere leuchten, sofern sie nicht gerade in Wasser ersaufen, durch das Blitze rasen und alles elektrifizieren – wir wohnen ganz in der Nähe der Blitzhauptstadt Baden-Württembergs, Esslingen. Die Antwort kenne ich noch nicht. Neben mir fliegen Pinguine durch eine winterliche Stadtstraße, während ein Spießer im Sessel sitzt, Sherry schlürft, Zeitung liest und von all dem nichts mitbekommt. Nur sein Kater verfolgt den Vogelschwarm aufmerksam vom Fenster aus.

Ich gehe zum Schreibtisch zurück und sammele die Worte ein, damit sie nicht im Berberteppich versinken und unauffindbar würden. Dann beginne ich die allmorgendliche Morgenyogagymnastik, knurre und schnurre wie ein Luchs, brumme und schmatze wie eine Braunbärin, schreie wie ein Gerfalke, pfeife wie ein Murmeltier und zische wie eine Kreuzotter. Einen Großteil meiner morgendlichen Übungen mache ich auf dem Balkon, diesmal beobachtet von einigen Tauben. Taubentag.

Es folgen Waschen und Anziehen, dazu ein Morgenmantra mit meinem Spiegelbild – Selbstliebe.

Mein Frühstück besteht wie meistens aus selbstgemischtem, veganem, ungezuckerten Biomüsli, diesmal verziert mit Walnüssen und Gala-Äpfeln. Zwei Kerzen des Adventskranzes sind bereits angebrannt: Die grüne für den Frühling und die gelbe für den Sommer. Ich lausche dem Radio. Eine hohe Frauenstimme, Klavier und Schlagzeug, Maria Joao. Sphärisch. Die Woche der portugiesischen Musikgeschichte näherte sich ihrem Ende, und mit meinen Augen atme ich einen Blick auf die Unendlichkeit. Das letzte Stück klingt ein wenig wie „Yes, Sir, I can boogie“, nur viel, viel weicher, portugiesisch eben. Eine schöne Sprache, ich liebe die Js. Dann kommen die Nachrichten. Die wichtigste dreht sich um die Frage, ob wir eine Groko oder Koko oder keine von beiden bekommen. Die Welt steht also noch, und ich schalte ab.

Warum Bio, warum tierfettfrei und damit quasi-vegan? Weil ich unter anderem Rheuma habe, in der Theorie zumindest. Ich fing an mit höllischen Schmerzen und 50 Milligramm Cortison pro Tag. Nichts könne ich gegen die Krankheit tun, sagte der Facharzt mir damals, außer seine Medikamente schlucken. Inzwischen bin ich fast immer schmerzfrei und nehme gar kein Cortison. Ich liebe Käse, esse im Alltag aber nur ab und an Harzer und Magerquark. Eiweiß ist erlaubt, Magerjoghurt und Honig auch. Manchmal packt mich die Lust auf mehr – und dafür rächen sich dann meine Schmerzen anderntags an mir, lustvoll. Sie gehören nicht zu meiner Vorstellung von Glück, genauso wenig wie Knochen zerstörendes Cortison. Deshalb bin ich ziemlich konsequent. Die meisten Rheumatiker in Deutschland haben größere Angst vor veganem Essen als vor den Schmerzen. Auf jeden Fall alle, die ich bisher kennengelernt habe. Ist es die Angst vor dem Neuen, Unbekannten? Zum Glück gehört ein ganz klein wenig Wagemut.

Nun heißt es wie jeden Tag lernen für die Heilpraktikerinnen-Prüfung. Welche Krankheiten darf ich nicht behandeln? Die Pest zum Beispiel, Yersinia pestis. Links von mir, neben dem Foto meines im Januar verstorbenen Vaters, lehnt das Bild eines venezianischen Pestarztes, Schnabelmaske, Brille und schwarze Verhüllung. In dem Schnabel befanden sich stark duftende Pflanzen wie Lavendel, während in unseren Breiten eher die Engelwurz Einsatz fand. Heute ist der Medico della Peste eine Maske im venezianischen Karneval. Ich bin nicht traurig darüber, dass ich keine Pestärztin werde, sondern nur Heilpraktikerin, die großen Übel in unserer westlich-kapitalistischen Zivilisation sind heute eher schleichend-chronischer Natur, Herz-Kreislauf-Probleme, Krebs, Diabetes, Allergien und eben Rheuma – Krankheiten, die viel mit unserer Einstellung zum Leben und zum Glück zu tun haben.