Dienstag, 11.9.2018: Das Glück der kleinen Augenblicke

“Wer das Glück nicht sucht, wird es finden”, wirbt der Piper-Verlag auf der vierten Umschlagseite für dieses vergnügliche Buch. Und Glück, das kann der geheimnisvolle Protagonist auch brauchen, seitdem er eine auf seine Hand gefallene Augenwimper einfach fortgewischt hat, anstatt sie fortzublasen und sich dabei etwas zu wünschen. Das glaubt zumindest ein regelmäßig im gleichen Bus wie er sitzendes Mädchen, das ihm den Namen Mr. Swift gegeben hat und findet, er müsse ein besonderes Talent haben, die Schönheit der Dinge und des Augenblicks zu sehen. Tatsächlich geht Herrn Swift von nun an alles schief: Die Verlobte verlässt ihn ohne ein Wort des Abschieds, er gerät in einen Hagelschauer und erkältet sich, wird von einem Pfarrer für den Sohn eines just Verstorbenen gehalten und verliert sein fast fertiges Manuskript.

Das wird wiederum von einer Lektorin gefunden, die sich dafür begeistert. Nur: Wie heißt der Autor, und ist das Manuskript überhaupt autobiographisch? Bei allen Missgeschicken gelingt es Mr. Swift, jeder Situation etwas Positives abzugewinnen, nach dem Motto:

Vielleicht ist es ja besser so, dass die Verlobte ihn verlassen und die gemeinsame Wohnung leergeräumt hat – denn vielleicht hätte er sie ja nie glücklich machen können! Und sein Daunenkissen, das sie gnädigerweise dagelassen hat (im Gegensatz zum Plumeau): Bettet es nicht wunderbar seinen Kopf? Das fällt ihm jetzt zum ersten Mal richtig auf.

Oder:

Ist das Schreiben nicht ein wunderbares Hobby, um ihn aus der Sinnlosigkeit seines Daseins als Bankangestellter zu retten? Durch die Literatur bekommt er seinen Kopf frei und verliert sich in eine Leichtigkeit, die im Büroalltag oft chancenlos ist…

Und zum Thema verlorene, handgeschriebene Manuskripte:

“War es nicht das Großartigste, was einer Geschichte widerfahren konnte? Sich zu verselbständigen und in den Köpfen der Menschen ihr Eigenleben zu entfalten? Sich selbst vom Dichter zu befreien?”

Selbst der Tatsache, dass die Verlobte alle Vorderseiten seiner Schallplatten zerkratzt, aber die B-Seiten vergessen hat und er voller Freude eine dieser B-Seiten hört, dann aber im Viertel der Strom ausfällt, gewinnt er noch etwas Gutes ab:

“Offensichtlich hatte der liebe Gott beschlossen, dass die Straße an jenem Abend genügend Strom verbraucht hatte. Und überhaupt wohl besser schlafen gehen sollte. Also packte Paul die Schallplatte ganz vorsichtig wieder weg, klappte den Deckel des Plattenspielers zu. Er würde dem Wink Folge leisten und sich zur Nachtruhe begeben. Morgen war auch noch ein Tag. Und auf den freute er sich. Nicht zuletzt, weil er neugierig geworden war, welche ungehobenen Schätze seine Plattensammlung, die ihm mit einem Mal ganz neu und geheimnisvoll erschien, für ihn bereithielt.”

Kurz und gut, Mr. Swift ist Optimismus in Menschengestalt. Und er behält dieses Erkennen des “Glücks der kleinen Augenblicke” sogar bei, als er erst krank wird, dann seine Wohnung und Arbeit verliert und man ihn schließlich sogar wegen angeblichen Drogenhandels verhaftet, denn die Beamten, die ihn abführen, sind “durchaus sympathisch”, wie er bemerkt.

Nun, die Geschichte ist mehr als vielschichtig erzählt, aber vielleicht geht sie doch gut aus: Mit Hilfe der Lektorin wird das unvollendete Buch veröffentlicht, und bei der ersten Präsentation des Werks verschüttet ein Zuhörer Rotwein, kommt nach der Lesung nach vorne, und er und die Lektorin werden ein Liebespaar. Und auf dem Tisch bleibt für den Verlag nur noch ein chinesischer Glückskeks zurück, mit dieser Prophezeiung:

“Wer das Glück nicht sucht, wird es finden.”

Ganz bestimmt!

Thomas Montasser: Das Glück der kleinen Augenblicke, (c) Piper Verlag, München 2018

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