1001 Nacht: Glück ist relativ!

Scheherazade und König Schahriyar, Gemälde von Hermann Emil Sprengel (1881)

 

Obwohl die kluge persische Wesirstochter Scheherazade Nacht für Nacht um ihr Leben erzählt, vergisst sie doch nicht zu scherzen. Denn auch das Lachen des Königs ist Teil ihrer Gesprächstherapie, selbst wenn es in diesem Fall ein eher grobschlächtiges Lachen sein mag. So fragt sie in der 916. Nacht: Was ist Glück? Und antwortet natürlich gleich selbst:

“Man fragte einen König: Was ist Glück? – Dass du deinen Freund für immer hast und deinen Neider dir vom Halse schaffst.
Man fragte einen Dichter: Was ist Glück? – Süßholz raspeln, ohne sich zu verhaspeln.
Man fragte einen Kämpfer: Was ist Glück? – Ein Schwert, das schnell gezückt, und ein Auge, das scharf blickt.
Man fragte einen einfachen Mann: Was ist Glück? – Wenn die Ehefrau schick ist und der Geldbeutel dick ist.
Man fragte einen Edelmann: Was ist Glück? – Sich an altem Wein berauschen und in erlesener Runde plauschen.
Man fragte einen Inder: Was ist Glück? – Ein unvermuteter Kuss.
Man fragte einen Richter: Was ist Glück? – Kluge Köpfe, die verstehen, was ich sage, und den Urteilsspruch hinnehmen ohne Klage.
Man fragte einen Schreiber: Was ist Glück? – Feines Papier, dazu Tinte, glänzend und klar, und ein schlankes, scharf geschnittenes Rohr.
Man fragte einen Verliebten: Was ist Glück? – Den Geliebten wiederzusehen und die nächste Gelegenheit auszuspähen.
Man fragte einen Sänger: Was ist Glück? – Eine Zusammenkunft von vernünftigen Leuten, die kein unnützes Geschwätz verbreiten, und eine Laute mit sauber gestimmten Saiten.
Man fragte einen Schmarotzer: Was ist Glück? – Junge Leute mit Töpfen voll Essen, deren Herzen nicht vom Geiz zerfressen und die ihren Nächsten nicht vergessen.
Man fragte einen Asketen: Was ist Glück? – Dass ich an meinem Todestage nicht verzage.
Man fragte einen Klugen: Was ist Glück? – Ein Freund, dem du vertrauen kannst, und ein Feind, den du durch falsche Freundschaft bannst.
Man fragte einen Kuppler: Was ist Glück? – Ein Verliebter, dem das Stelldichein gefällt und der mir nachher nicht die Zeche prellt.” (zitiert nach: Tausendundeine Nacht. Das glückliche Ende. C.H. Beck Verlag, München 2016)

Das Glück für Scheherazade mag darin liegen, auch diese 916. Nacht zu überleben und zu sehen, wie ihre Märchentherapie gelingt und sie den König fast schon gänzlich geheilt hat.

Worin liegt dein Glück?

Jiddisches Glik

Über die norwegisch-jüdische Sängerin Bente Kahan bin ich auf ein sehr berührendes jiddisches Lied des Komponisten Alexander Olshanetsky gestoßen (gestorben 1946 in New York), zu dem Bella Meisell (1902-1991) den Text geschrieben hat. Stellen Sie sich die folgenden Verse im Walzertakt vor (ich habe die Schreibweise dem Deutschen etwas angeglichen):

Ich stey atsind und tracht, wos far a starke Macht
der Schicksal hot oyf jedn Menschn.
Ot macht er sich a Spas, ot wert er bald in kas,
er ken dich strofn un oych bentschn.

Wenn z’iz on mir gewen, wenn ich volt nor gekennt
dayn modnem Schicksal do fartretn
wollt ich dich jetzt befrayt, dayn Lebn auch benayt
un far dein Glick wollt ich gebetn

Glik, du bist gekommen zu mir, ober a bissel zu speyt
Glik, du host genommen un farschaft mein Herz azoy viel Freid
Ich will jetzt gor nicht klern, wos der Morgn wet brengen far mir
azoy lang ich hob chotch eyn Moment,
dos Glik jetzt in mayne Hent, und ich tanz den letzten Tanz mit dir.

Da mir die Übersetzung im Internet nicht gefällt, hier meine eigene:

Ich stehe jetzt und denk, was für ne starke Macht
das Schicksal hat auf jedn Menschn.
Mal macht es sich nen Spaß, bald ist es wütend,
es kann dich strafen und auch segnen.

Wenn’s mir gegeben wär, wenn ich gwollt, gkonnt,
dein seltsam Schicksal zu vertreten,
wollt ich dich jetzt befrein, dein Leben auch erneuern,
und für dein Glück hätt ich gebeten.

Glück, du bist gekommen zu mir, aber ein bisschen zu spät,
Glück, du hast genommen und verschafft meinem Herzen also viel Freud.
Ich will jetzt gar nicht klärn, was der Morgen wird bringen für mich,
also so lang ich hab jetzt nen Moment,
das Glück jetzt in meinen Händ’, und ich tanz den letzten Tanz mit dir.

Was ist dem noch hinzuzufügen?

Bente Kahan: Home –  Jewish Songs. (c) Verlag “pläne” GmbH, Dortmund 2000

Das Glück der Madame de Stael

War sie ein glücklicher Mensch, die Germaine de Stael, geborene Necker (1766-1817)? Auf jeden Fall war sie eine der emanzipiertesten und unangepasstesten Frauen ihrer Zeit. Sie hat unter anderem 1793 eine größere philosophisch-politologische Schrift verfasst: “Vom Einfluss der Leidenschaften auf das Glück der Individuen und Nationen”. Heinrich Heine hat sie abgelehnt, vielleicht weil sie im Gegensatz zu ihm kein Fan von Napoleon Bonaparte war. Über ihr “De l’ Allemagne” hat er sich jedenfalls nur lustig gemacht.

Von de Stael stammt der folgende schöne Spruch:

Glück ist ein Wunderding.
Je mehr man gibt, desto mehr hat man.

 

Der Mann, der das Glück bringt,…

…das könnte der Titel eines Rosamunde-Pilcher-Romanchens sein, ist es aber nicht. Der in Zürich lebende Rumäne Catalin Dorian Florescu beschreibt die Geschichte des 20. Jahrhunderts anhand zweier bitterarmer Familien in zwei höchst unterschiedlichen Welten: Jeweils ein Kapitel spielt im rumänischen Donaudelta, das andere in New York.

Und es ist keine schöne Geschichte: Da wird ein Junge von seinem Vater angehalten, kranke Kinder mit dem Kissen zu ersticken, damit man Geld mit ihrer Beerdigung verdienen kann. Da erfrieren hungrige Zeitungsjungen wie Andersens Kleines Mädchen mit den Schwefelhölzern im Freien. Da springen eingesperrte New Yorker Fabrikarbeiterinnen mit lodernden Haaren paarweise aus dem Fenster, weil die Feuerwehrleitern nicht hoch genug reichen (Bangladesch 2013 lässt grüßen). Da werden leprakranke Menschen in Kolonien isoliert. Da passiert 9/11, und wieder springen Menschen. Der Fall dauert zehn Sekunden bis zum Aufprall.

Es sind zugleich Geschichten von Sehnsucht und Einsamkeit. Aber es sind auch Geschichten von der Schönheit des Gesangs. Von einem Gesang, der so wunderbar ist, dass die Frauen, die in billigen Absteigen ihre ungewollten Kinder zur Welt bringen, vor Glück anfangen zu weinen. “Großvater”, damals noch ein Jugendlicher, ist ein kleiner Caruso, der so etwas vermag. “Da ist er, der Mann, der das Glück bringt,” rufen die Frauen, und lassen ihn, nachdem man ihre Babys fort- (und heimlich um-)gebracht hat, an ihrer Brust trinken.

Sein Enkel Ray steigt in seine Fußstapfen, er wird Imitator und singender Kellner und stellt gar eine Show zusammen, die er “Die Predigten des Mannes, der das Glück bringt” nennt – eine Zusammenstellung der besten Predigten aus US-Filmen der 50er Jahre.

Doch dann wird alles anders: Er lernt die Rumänin Elena kennen, die die Asche ihrer verstorbenen, leprakranken Mutter von den Twin Towers aus über New York verstreuen will – just am 11. September 2001. Sie sieht die Menschen springen. Und sie flüchtet sich in Rays kleines Theater, bevor sie mit Mutters Asche zurück nach Rumänien fährt. Und Ray, mittelalt und einsam wie sie, folgt ihr, singt und tanzt sich durch Rumänien, bis er sie wiederfindet.

“Am Abend wurde in unserem lokalen Fernsehsender ein Bericht über ihn ausgestrahlt. Es geschieht nicht viel in unserer Stadt, man ist immer froh über etwas für die Rubrik “Besondere Ereignisse”, zwischen dem Donaupegel und den Autounfällen des Tages. “Ein Amerikaner in Tucea”, kündigte die Moderatorin den Bericht an, so, wie man früher die Ankunft des Zirkus bekannt gab.

“Er bringt den Geist Amerikas zu uns. Er nennt sich ‘Der Mann, der das Glück bringt’ und wird täglich bei schönem Wetter an der Promenade auftreten”, sagte sie. “Er ist der Imitator großer Stars und deshalb auch selbst ein Star, ein Sänger und Tänzer mit Stil. Eine Kostprobe davon hat er uns heute schon gegeben. Die Zuschauer waren begeistert. Er tanzt wie Fred Astaire, tritt auf wie James Cagney und singt wie Frank Sinatra.”

Und noch mehr Glück verbreitet er, als er mit Elena die Leprakolonie am Ende der rumänischen Welt besucht.

Aber wird er auch mit Elena eine Beziehung führen können – kann aus zwei Menschen, die ihr Leben lang einsam und allein waren, ein Paar werden?

(c) Catalin Dorian Florescu / Verlag C.H. Bek oHG, München 2016

Mittwoch, 5.9.2018: Beziehungsglück

14.02.2014: Hochzeit im Stuttgarter Neuen Schloss. Mein Vater ist Trauzeuge.

Heute vor sechzehn Jahren habe ich Klaus zum ersten Mal geküsst – dieses Datum ist in unsere Eheringe eingraviert. Exakt einen Monat zuvor, am 5.8.2002, hatten wir uns kennengelernt, in der S-Bahn vom Stuttgarter Flughafen Richtung Innenstadt. Ich kam gerade von einer Urlaubsreise durch Südnorwegen zurück und war ziemlich aufgedreht, weil gepäcklos – meine Habseligkeiten drehten noch in Amsterdam auf dem Förderband. Als in Leinfelden ein schwarz gekleideter, schlanker, dunkelhaariger Mann mit grauen Augen zustieg, dessen Rucksack sperrangelweit offen stand, sprach ich ihn sofort an. Wir unterhielten uns angeregt, und als ich an der Schwabstraße aussteigen musste, gab er mir seine Telefonnummer.

So fing es an. Wir trafen uns in den nächsten Wochen häufig, aber es blieb platonisch, bis ich ihn am besagten Septemberabend fragte, worum wir eigentlich die ganze Zeit so intensiv diskutierten – um eine Freundschaft oder eine Beziehung?

Eigentlich war alles klar. Und während ich bis zu diesem Moment immer verhütet hatte, haben Klaus und ich von der ersten Nacht an dies nicht getan – wir wollten beide ein Kind miteinander. Der errechnete Geburtstermin für Lenja war der 3.6.2004. Aber wie ein Freund, der Hexer Peter, so treffend sagte: “Wenn du möchtest, dass sie erst am 5.6. auf die Welt kommt, wird genau das auch geschehen.”

Und so kam es denn, allerdings bescherte es mir weit über dreißig Stunden Wehen, denn die begannen pünktlich schon am 3. Juni. Aber die 5 ist nun einmal unsere Glückszahl…

Ich habe einen wundervollen Mann und eine ganz besondere Tochter bekommen. “She is going the fairy way”, sagte mein Kollege Alastair schon, als sie gerade anfing zu laufen. “Und wie geht es deiner Elfe?” wollte erst diese Woche eine Bauchtanzfreundin wissen. Uns als Eltern war es immer wichtig, nicht-direktiv ihr gegenüber zu sein. Sie sei hochbegabt, wird immer wieder vermutet, für uns zählt aber nicht, ob sie das Abitur macht, sondern dass sie ein freier (auch frei denkender), glücklicher Mensch wird.

Geheiratet haben wir erst sehr spät, an einem Tag, dessen Quersumme ebenfalls 5 ist: am 14.02.2014, dem Valentinstag. Wir waren das erste Brautpaar, das sich im Stuttgarter Neuen Schloss das Ja-Wort gegeben hat (siehe Foto), Lenja durfte die Urkunde mit unterschreiben und bekam ebenfalls einen Ring – ihrer ist aus Silber, unsere sind aus Russengold. Zwei Hänse fungierten als Trauzeugen – mein Vater und Klausens Halbbruder.

Ich habe es nie bereut, Klaus geheiratet zu haben – er ist für mich ein idealer Mann, und häufig bin ich schon um ihn beneidet worden. Auch unsere Tochter bestätigt uns, dass wir weit weniger streiten als alle anderen Eltern, die sie kennt (hmm, ganz sicher bin ich nicht: eventuell streitet meine Erfurter Freundin genauso selten mit ihrem Mann).

Vielleicht steht ja Beziehung bei Ihnen nicht auf der Prioritätenliste – für mich aber (wie Sie auf der Seite links nachlesen können, “Über mich und diesen Blog”) sind lieben und mich lieben lassen ganz oben bei den Charakterstärken, die mich glücklich machen – zusammen mit dem Schönheitssinn, um den es ja neben dem Glück im allgemeinen in diesem Blog geht. Klaus und Lenja sind mein großes Glück.

Und so habe ich meinem Mann gestern auf dem Rückweg von der Ergotherapie eine rote Strauchrose gepflückt, Kornelkirschen und ein paar Brombeeren, die ich zufällig noch entdeckte (er liebt Brombeeren sehr). Na ja, und ein Kuss durfte natürlich auch nicht fehlen!

Sonntag, 2.9.2018: happinez oder: Was hat Glückseligkeit mit Kitsch zu tun?

Neueste Ausgabe der Zeitschrift happinez mit verkitschtem Foto der Malerin Frida Kahlo

Vergangenen Freitag besuchten wir vor unserer Zugfahrt nach Karlsruhe noch die Stuttgarter Bahnhofsbuchhandlung. Dabei fielen mir vier Zeitschriften zum Thema Glück auf – es scheint im trendy zu sein. Die Zeitschrift happinez lag sogar im Stapel aus und sprang mir sofort ins Auge, weil mein Mann und ich ja erst vor wenigen Tagen Fridas Besuch im Lapidarium genossen haben (siehe Beitrag vom 24.8.2018). Hier nun schmückt die Malerin das Titelbild einer Zeitschrift, jedoch überzogen von Glitzerstaub wie die kitschigen Oblatenbildchen, die wir uns in meiner Kindheit in die Poesiealben klebten („Lebe glücklich und froh wie der Mops im Haferstroh“ wünschte mir eine Freundin, die schon damals an Herzrhythmusstörungen litt und später obdachlos wurde). Das Titelbild steht Frida Kahlos Leben und Werk so diametral entgegen, dass die Arme sich gewisslich im Grabe umdreht, wenn man ihr davon berichtet.

Warum die Zeitschrift nicht Happiness (also Glückseligkeit) genannt wurde, sondern Happi Nez (nez ist das französische Wort für Nase und deshalb erinnert die Wortschöpfung mich an Nasen-Hundefutter), entzieht sich meiner Kenntnis, vielleicht sollte es cooler wirken.

Hinter dem Ganzen steckt die Bauer Media Group mit einem Jahresumsatz von 2,32 Mrd. € (2013), die tief im Yellow-Press-Segment wurzelt, also Schrott zur Verblödung produziert und bestimmt weniger an der Glückseligkeit ihrer Leserinnen interessiert ist als am Mammon. Zu ihrem Portfolio gehören solch abgeschmackte Titel wie Bravo, Alles für die Frau oder Neue Post, insgesamt sind es 600. Dass da auch mehrfach rechtsradikale darunter sind bzw. waren, verwundert nicht. Und ebenso wenig, dass der Deutsche Presserat Rügen gegen den Konzern aussprechen muss.

Was aber nun versteht happinez unter Glückseligkeit? Nun, zunächst einmal beziehen sie sich wie auch ich es getan habe auf den US-Psychologen Martin Seligman. Aber der Fokus ist ein anderer – happinez zielt auf ein „angenehmes Leben“ ab, und behauptet, dies könne auch in kleinen Schritten erreicht werden, während es Seligman um die großen Visionen geht. Aber die lassen sich nicht so gut vermarkten wie solch eine Zeitschrift (Preis 5,90 €) bzw. „zwei zu einem Preis“ in umweltschädlichem Weichplastik verschweißt (7,95 €). Und dann ist da noch der happinez-Shop, wo man von Schmuck und Accessoires, Yoga und Wellness, Wohnen und Textilien sowie Lesen und Schreiben für teures Geld alle nur erdenkbaren Kinkerlitzchen kaufen kann, bis hin zu einer gerade einmal 82g schweren Ganesha-Mala-Kette aus Silber und Halbedelsteinen für 219 €. Ach ja, Shoppen macht NICHT glücklich, warnt Seligman, und die hedonistische Tretmühle des immer mehr Besitz Anhäufens ebensowenig. Aber das verschweigt happinez wohlweislich. Oder dass die Lebenszufriedenheit in der VR China ebenso hoch ist wie in Italien – obwohl in China die durchschnittliche Kaufkraft nur bei 9, in Italien bei 77 (im Verhältnis zu den USA mit 100) liegt.

Wundert es da noch, dass die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche auch dem Bauer Media Group die verschlossene Auster verliehen hat für die intransparente Machart ihrer Klatschmagazine? Ihr Verhalten schade der Glaubwürdigkeit des Journalismusses, so die Begründung, hier bezogen auf die Neue Post.

Aber warum steht nun Kitsch dem Glück im Wege? Manchmal, an Weihnachten, überkommt er mich durchaus auch, aber ich bin mir bewusst, dass „The Little Drummer Boy“ im Radio mich auf dem Weg zum Glück kein Stück weiter bringen wird, auch wenn mir Tränen der Rührung in den Augen stehen. Da die Etymologie des Wortes Kitsch nicht sicher ist, kann ich hier nur meine eigene Definition anfügen: Es steht für unechte Gefühle, also zum Beispiel für Sentimentalität im negativen Sinne, Stereotype, Klischees und einer Massenproduktion zur Erweckung solcher Gefühle – anstelle von Kunst und Können. Der Eiffelturm als Schlüsselanhänger Made in China ist Kitsch. Ja, er erinnert mich daran, dass ich in Paris war – aber kann dieser 5cm-Guss wirklich das Gefühl wieder wachrufen, das ich in dem Moment empfand, als ich unter ihm meinen Mann küsste, der unsere Tochter an der Hand hielt und ein bisschen Paris erkundet hatte, während ich mit französischen Verlegern verhandelte?

Ein anderes Beispiel für Kitsch ist das bayrische Dirndl, dass sich seit ein paar Jahren auf den Stuttgarter Volksfesten breit macht – diffuse Heimatgefühle werden produziert, ohne dass die Jugendlichen noch wissen, wie die Tracht hier wirklich ausgesehen hat, nämlich zum Beispiel so wie links stehend – zugeknöpft, mit langen Hosen und Röcken, auch gern mit Kopfbedeckung. Stattdessen werden rosa-weiß karierte Polyesterdirndls beim Discounter erstanden, weit ausgeschnitten und knapp unter dem Po endend, die den meisten Mädchen nicht stehen und in denen sie sich an kälteren Tagen schier zu Tode frieren. Falsche Heimatgefühle eben, ohnmächtiger Ausdruck der Angst vor Wirtschaftskrise und Globalisierung. Und: Die schwäbische Tracht ist ausgestorben – sie künstlich wieder zum Leben zu erwecken wäre auch schon wieder Kitsch! Unsere heutige Tracht, also das, was bestimmte Stände und Berufsgruppen als Zeichen ihrer Zugehörigkeit tragen zu müssen glauben, das sind Anzug und Krawatte auf der einen und Jeans mit T-Shirt und Turnschuhen auf der anderen Seite – und auch hinter diesen Trachten steckt eine gehörige Portion Zwang – genau wie hinter dem Dirndl im 19. Jahrhundert. Und so wie Kitsch und Glück nicht zusammenpassen, so ist es auch mit Zwang und Glück und Tracht und Glück. Wie gesagt: Frida Kahlo würde sich im Grabe umdrehen.

Kurz und gut: Ich rate vom Kauf der kitschigen, nur am Profit der Bauer Media Group orientierten Zeitschrift happinez dringend ab, ebenso wie von anderen Produkten der Bauer Media Group.

Ihre Barbara Pfeiferin

P.S.: Wenn Sie mehr wissen wollen zur Pressekonzentration, empfehle ich Ihnen folgenden Beitrag aus „Die Anstalt“: https://www.youtube.com/watch?v=MOpNkgFTuBU

 

Sonntag, 1.4.2018: Das anarchistische Osterlachen

Ausnahmsweise übernehme ich einmal einen Artikel aus Wikipedia, weil er einfach so schön zum Thema Glück passt – das katholische Osterlachen – es wäre im pietistischen Stuttgart wohl völlig fehl am Platze (angeblich geht man südlich von uns, in Reutlingen, zum Lachen sogar in den Keller):

Osterlachen (lateinisch risus paschalis), auch Ostergelächter, bezeichnet den Brauch, in der Predigt an Ostern die Teilnehmer an einem Gottesdienst zum Lachen zu bringen. In einigen Regionen − vor allem in Bayern − war es vom 14. bis 19. Jahrhundert ein fester Bestandteil des christlichen Brauchtums.

Geschichte: Über die Entstehungsgründe gibt es keine Quellen. Das Osterlachen ist die einzige Form, in der das Lachen in die christliche Liturgie einbezogen wurde. Allerdings wird das Osterlachen in offiziellen kirchlichen Verlautbarungen, z.B. päpstliche Bullen, Enzykliken oder Beschlüssen eines Konzils, niemals genannt.

Zum Brauch gehörte es − insbesondere im Spätmittelalter −, dass der Pfarrer am Ostertag von der Kanzel ein Ostermärlein, also eine erheiternde und nicht immer ganz einwandfreie Geschichte erzählte. Oder er gab eine improvisierte Schnurre zum besten. Beides geschah mit dem Ziel, die Gemeinde zum Lachen zu bringen. Die Geschichten wurden auch als Ostermärchen bezeichnet.

Grundanliegen des Osterlachens war es, die Osterfreude zum Ausdruck zu bringen. Es sollte die Überlegenheit und der Sieg über den Tod symbolisiert werden, der sich an Christus „verschluckt“ hat und der Lächerlichkeit preisgegeben ist. Das Osterlachen war auch eine Art, in lustiger Form Kritik an der weltlichen oder kirchlichen Obrigkeit zu üben. Als exemplarisch dürfte der Predigtstil des Wiener Hofpredigers Abraham a Sancta Clara gelten. Heutzutage erinnern an diesen Brauch manche Faschingspredigten am Karnevalssonntag, dem Sonntag vor Aschermittwoch (etwa die Kölsche Mess).

Da im Spätmittelalter auch mit obszönen Handlungen und Worten versucht wurde, die Gemeinde zum Lachen zu bringen, stieß das Osterlachen im Protestantismus auf scharfe Kritik. So geht der Begriff risus paschalis zurück auf den Reformator Johannes Ökolampad, der einen Brief gegen diesen Brauch geschrieben hatte, welcher 1518 von Wolfgang Capito veröffentlicht wurde.

Im 18. Jahrhundert wurde das Osterlachen immer seltener, irgendwann hielten sich nur noch die Ostermärlein. Die Regensburger Diözesankonstitutionen von 1835 verbannten „Fabeln, gereimte Dichtungen und Obskures“ aus den Predigten.

Für alle, die Interesse an den Querverweisen und Literaturangaben haben, hier der Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Osterlachen