Elfenwiese, Rumpelstilzchen und Hexenkraut in Glücksburg (D)

An den Ochseninseln vorbei über die Flensburger Förde

Mit der M/S Viking schippern wir von Flensburg über die Förde nach Glücksburg. Es herrscht schönstes Augustwetter, ohne ein Wölkchen am Himmel. Dazu gibt es Schauergeschichten. Via Lautsprecher erfahren wir im launigen Ton, wo der Galgen stand, wie Margrethe I. zu Tode kam und von den 14 Hexen, die in Flensburg ermordet wurden – von Johann Brade (vor 1548) bis Catharina Jensen (im Jahre 1620). Aber das trübt 2022 die Stimmung der Mitreisenden nicht.

heute back ich, morgen brau ich
Rumpelstilzchen im Wald

Vom Schiffsanleger in Glücksburger Ortsteil Sandwig heisst es erst einmal, Richtung Innenstadt laufen, knapp 2 km durch den Wald! Immer wieder stoßen wir dabei auf Kunstwerke, darunter Hartmut Mahlers “Rumpelstilzchen” – offenbar hat ihn ein Stück Holz an den Zwerg erinnert.

 
café am schloss
Glücksburg – Café am Schloss (beim Rosarium)

Im Zentrum besuchen wir zunächst einmal das Café am Schloss aus dem Jahre 1833 (direkt neben dem äußerst sehenswerten Rosarium gelegen) und gönnen uns im rauchfreien (!), romantischen Garten ausnahmsweise etwas Unveganes. Wir bereuen es nicht. Mein Käsefrühstück (gibt’s bis 12 Uhr) ist extrem lecker und besteht aus:

FEINE AUSWAHL AN BLÜTENKÄSE, ALLGÄUER BERGKÄSE MIT
MANGOCHUTNEY, FEIGENKARREE, SAHNIGER FRISCHKÄSE
MIT HAUSGEMACHTEM PESTO, WEIDEBUTTER,
ERDBEERMARMELADE, DAZU ALLERLEI SCHMACKHAFTE DEKO,
EIN KORB MIT OFENFRISCHEN BRÖTCHEN UND
SCHWARZBROT.

Dazu trinke ich einen Earl Grey namens “Watt denn hier los”. Er stammt von der Hamburger Teemanufaktur Samova und ist sogar Bio! Einzig der Espresso schmeckt mir zu bitter. Aber ansonsten: Ich komme auf jeden Fall wieder!

dolmenpfad und elfenwiese
Grab 4 des Dolmenpfads

Dann laufen wir weiter zum Staatsforst Friedeholz im Norden dieser nördlichsten Stadt Deutschlands (Alternative: Bus Linie 21, Haltestelle Schwennaustraße). Was hier beginnt, ist ein wahrer Zauberwald, mit Wildschweingehege und dem 4,6 km langen Dolmenpfad, der vorbeiführt an mehr als zehn Grosssteingräbern der Jungsteinzeit und bronzezeitlichen Grabhügeln. Wer wurde hier im Buchenwald bestattet? Die Schaman*innen des Ortes, die vielleicht auch gleichzeitig weltliche Führer*innen waren? An Grab Nr. 4 sehe ich eine kleine Frau im langen, weißlichen Wollgewand vor mir, die zusammen mit den anderen Leuten des Dorfes ihre Vorgängerin beerdigt.

Die Elfenwiese

Rund um die geheimnisvolle Elfenwiese führt dieser Dolmenpfad. Schwarzbackige Grasfrösche, winzig kleine und große, hüpfen über unseren Weg. Der Elfentanzplatz ist ein 3,5 ha großes Hochmoor, das zwar inzwischen trockener wird (immer mehr Birken wachsen dort), aber nach wie vor nur von leichtgewichtigen Elfen und Feen überquert werden kann. Wir setzen uns auf eine Bank am Rande und beobachten eine große Königslibelle. Morgens, wenn die Nebel vom Wasser aufsteigen, vermeinen Einheimische hier in Schleier gehüllte Wesen tanzen zu sehen, und die abgestorbenen Bäume tun ihr Übriges. Aber es ist früher Nachmittag, und so genießen wir einfach den Wald, die Aussicht und die Stille. Binsengras wächst hier und ganz in der Nähe auch Wollgras.

Das unscheinbare Hexenkraut

Wie es sich für einen echten Zauberwald gehört, gibt es überall blutstillendes Hexenkraut (Circaea lutetiana) mit seinen kleinen weißen Blüten. In früheren Jahrhunderten war es so selten, dass frau es nur fand, wenn sie sich hoffnungslos verirrt hatte. Dann aber konnte sie es für Liebeszauber verwenden und zum Schutz des Viehs, sofern ihr der Weg nach Hause doch noch glückte. Schon ein Blütlein täglich genügte den Frauen, um sich für das andere Geschlecht attraktiver zu machen.

 

Ein wunderbar kühler, feuchter Kraftplatz ist dieser Wald an einem heißen Sommertag wie diesem – hoffentlich kann ich ihn bald wieder besuchen!

ANSCHRIFTEN:

 

Lebendige Ziegelei: Cathrinesminde (Broager, DK)

Der riesige Ringofen der Ziegelei

Traumhaft schön an den nördlichen Ausläufern des Flensborg Fjords liegt das kleine Städtchen Broager. Gegenüber auf der deutschen Seite erkennt man die Spitze der Halbinsel Holnis. Viele Ziegeleien säumten um 1900 die Flensburger Förde – allein zwischen Broager und Brunsnæs waren es acht. Von diesen steht heute nur noch die Cathrinesminde, als Industriedenkmal konserviert, von 1732 bis 1968 in Betrieb.

det levende teglværk
Das Tossemarens Trio spielt zum Tanz auf

Zu bestimmten Zeiten während der dänischen Sommerferien (in diesem Jahr vom 21. bis 24. Juli) erwacht das Museum aus seinem Dornröschenschlaf und wird zu “Det levende teglværk” – “Die lebendige Ziegelei”. Dann präsentieren Menschen in historischen Trachten, wie die Arbeiter*innen um 1900 hier lebten. Es wird geklöppelt, der Gemüsegarten gepflegt, ein Pferd arbeitet an der Knetmühle.

Die Knetmühle

Und die Ziegel werden geformt, getrocknet und gebrannt. Schwerarbeit! Doch Frauen spielen zum Tanz auf, Kinderspiele wie damals können ausprobiert werden, und im südjütländischen Dialekt werden Märchen erzählt.

 

arbeiterleben vor 100 jahren

Drei der gemauerten Arbeiterwohnungen direkt neben dem riesigen, begehbaren Brennofen kann man auch heute noch besichtigen. Sie sind eingerichtet, wie es 1900, 1930 und 1960 üblich war: ärmlich! Der Ziegelei-Besitzer hingegen wohnte in einer Villa oben auf dem Berg. Die zehn bis zwanzig Arbeiter*innen, die hier fest lebten, mussten Tag und Nacht zur Verfügung stehen, Kinder eingeschlossen. Um 1900 betrug die Wochenarbeitszeit sechzig Stunden Minimum. Die vielen Saisonarbeiter hausten dagegen in Holzbaracken, denn nur von April bis November wurden Ziegel gebrannt.

Wir aber haben es heute gut und schauen gemütlich dem großen Waschtag mit Waschbrett zu.

Blick von der Mole auf den Fjord

Und wir laufen auf der mittlerweile mit wilden Karotten und gelbem Steinklee überwucherten Mole, über die Arbeiterinnen fertiggebrannte Ziegel zu den Schiffen brachten. Ziegelbruch wurde direkt in die Förde geworfen, und deshalb ist das Wasser jetzt, im Jahre 2022, zu flach für größere Boote. Übrigens: Der berühmte dänische Wanderweg Gendarmestien führt direkt hier vorbei. Unser Ausflug wird abgerundet durch einen Besuch im Café und dem Museumsshop. Cathrinesminde: Ein Ort zum Wiederkommen!

Anschrift:
* Cathrinesminde Teglværk, Illerstrandvej 7, DK-6310 Broager, http://www.msj.dk
* Mehr über den Gendarmesti: https://www.visitsonderjylland.de/gendarmenpfad

Kære grænse – meine liebe Grenze

Gendarmestien bei Kollund – auf der anderen Seite des Fjords: Deutschland

Von neoliberal bis sozialistische Internationale: Niemand mag Grenzen. Zumindest nicht die Grenzen der anderen. Sie sind zum Beispiel wirklich unpraktisch und stören den Handel… Aus der deutschen Kleinstaaterei entstanden also 1871 ein Nationalstaat und nach dem Zweiten Weltkrieg die Bundesrepublik Deutschland. Aber damit nicht genug: Im Rahmen des Schengen-Abkommens fielen 1985 die Schlagbäume, und 2002 ersetzten viele EU-Mitgliedsstaaten ihre nationalen Währungen durch den Euro.

Nun, zumindest beim Euro haben die Dänen nicht mitgespielt – ein Königreich ohne Kronen als Währung, das geht nicht. Dass es aber wirklich auch eine physische Grenze zwischen Dänemark und Deutschland gibt und dass man sie schließen kann, wurde den Anwohnern im Dezember 2019 wieder bewusst, als Dänen den 70km langen Anti-Schweinepest-Wildschweinzaun fertigstellten (teuer, vermutlich nutzlos und für die Umwelt schädlich). Und 2020 wurde es uns allen schmerzlich deutlich: Dänemark machte seine Grenzen im Rahmen der Corona-Pandemie komplett dicht – für die Leute im Grenzgebiet, die unter der Woche gern in Flensburg und sonntags in Padborg einkaufen, eine Katastrophe.

Aber Grenzen sind auch spannend und können glücklich machen. Jede Schamanin, jede Hexe weiß das, denn das Wort Hexe kommt von hagazussa, der Zaunreiterin, die mit dem einem Bein fest in der alltäglichen Wirklichkeit und mit dem anderen in der Anderswelt steht.

Auch ohne Anderswelt inspirieren Grenzen: Was machen die Dänen auf der anderen Seite des Zauns anders und besser als Deutsche, was können wir lernen, über Gelassenheit, hygge bis hin zum Feste feiern und Tanzen und Singen um den Weihnachtsbaum? Nicht umsonst gelten die Dänen als zweitglücklichstes Volk Europas (nach den Finnen).

Ein ganz besonderer GrenzPFAD ist der Gendarmstien. Er startet in unserer zukünftigen Heimat Padborg und führt in fünf Etappen 74 km weit nach Osten bis nach Skovby. Hier patroullierten von 1920 bis 1958 auf der Jagd nach Schmugglern die dänischen Grenzgendarmen entlang der Flensburger Förde – unterbrochen durch die Zeit der Nazis, die alle Gendarmen gefangen nahmen und viele ermordeten. Der Wanderweg ist heute einer der schönsten Dänemarks und einer von nur zweien des Landes, der das Prädikat “Leading Quality Trails – Best of Europe” (www.era-ewv-ferp.com) erhalten hat.

Wie traumhaft der Gendarmstien ist, konnten wir dieses Jahr im August live erleben, als wir an meinem Geburtstag ein kleines Stück der ersten Etappe im Kollund Skov liefen, durch hügeligen Küstenwald mit steilen Abhängen und tiefen Schluchten – siehe Foto. Aber auch ansonsten kreuzten wir in diesem Urlaub häufig den berühmten Wanderweg, selbst ganz in der Nähe unserer Ferienwohnung in Kollund Østerskov führte er vorbei. Eben ein sehr “ausgedehnter Glücksort”, wie das Buch “Glücksorte in und um Flensburg” von Sörensen/Siedhoff zu Recht urteilt, versehen mit einem Dutzend Aussichtspunkten und 42 Sehenswürdigkeiten. Davon sechs in Padborg, mit dabei ein Erdtelefon in Bov, mit dem man grenzüberschreitenden Kontakt aufnehmen kann – das eine Ende ist in Dänemark, das andere in Deutschland. Nicht zuletzt kann mensch während der fünf Etappen viele seltene Tiere und Pflanzen entdecken, vom schillernden Eisvogel über Schwarzspecht, Bergmolch und Gänsesäger bis hin zu Orchideen wie Zweiblatt, Sumpfwurz und Knabenkraut.

Übernachtungsmöglichkeiten gibt es unterwegs viele, einschließlich einfacher, offener Hütten mitten im Wald, die man bei der Kommune mieten kann. Und vielleicht gehört auch bald in Padborg unser neues Haus dazu, unter dem Stichwort “Öko-B&B, vegan und vegetarisch” – damit schon der Start glücklich macht!

Bis bald!

 

Glücklich in Dänemark, Teil 1: Nach Padborg ziehen?

Was fällt dir zu Dänemark ein? Vielleicht: Alle duzen sich, alles ist hyggelig, dazu noch Andersens Märchen, Sandstrand, Christiania in Kopenhagen, Carlsberg-Bier, Smörrebröd, dänische Möbel und Legoland. Aber ganz gewiss nicht Padborg. Wer oder was ist also Padborg?

Pfingsten 2020: Auf der Rückfahrt vom coronageplagten Fehmarn wird uns klar, dass wir Ostsee (ich) oder Nordsee (Klaus) dem Vogtland (wo unser nach wie vor sanierungsbedürftiges Haus steht) ganz eindeutig vorziehen. Und dass es also viel sinnvoller ist, als Rentner*in nach Schleswig-Holstein denn nach Thüringen zu ziehen.

Auf Immoscout24 versuchte ich deshalb, mit der Maus eine Linie um S-H zu ziehen mit der Maßgabe: Haus oder Wohnung bis 100.000 Euro. Am liebsten in Lübeck oder Flensburg. Nun, es gelang mir nicht, den Strich exakt entlang der deutsch-dänischen Grenze zu ziehen – ich erwischte noch ein paar Kilometer in Dänemark und damit: Padborg! Und dort ein Haus aus dem Jahre 1927 im Rahmen unseres Preislimits.

Ich wette, niemand außer den Padborgern selbst und den Leuten in unmittelbarer Nähe kennt Padborg. Es ist einfach der erste dänische Ort jenseits der Grenze und damit IC-Haltestelle: Von hier aus kommt man per Bahn in Nullkommanichts nach Hamburg und Kopenhagen – und in nur zehn Minuten nach Flensburg. Ansonsten zeichnet es sich durch jede Menge Spediteure, ein kleines Museum, eine Bibliothek und zwei Supermärkte aus, die auch sonntags geöffnet haben – und 4.337 Einwohner.

Aber was ist mit der See? Nun, die nächsten Ostseestrände sind der deutsche in Wassersleben (6,3km) und der dänische in Kollund (9,5km). Nur zur Nordsee dauert es etwas länger: Bis nach Emmerlev Sogn muss man 57,6km radeln. Auch nicht die Welt.

Warum also nicht glücklich in Padborg, auch wenn es im Gegensatz zu Greiz kein einziges rotes oder blaues Sternchen für besondere kulturelle Sehenswürdigkeiten oder Naturschönheiten hat? Nun, vor das dänische Glück hat der dänische Staat die Notwendigkeit gesetzt, eine dänische Niederlassungserlaubnis zu bekommen. Warten wir es also ab!