Glücksbächlein in den Gewächshäusern des Botanischen Gartens
Nach dem Ende des Heilpraktiker-Seminars in Berlin-Wittenau fahre ich schnell zu meiner Schwester, um Isomatte und Decke loszuwerden und eine Stulle – berlinerisch für eine (belegte) Scheibe Brot – zu essen. Danach geht es mit der S-Bohn zum Botanischen Garten.
Eigentlich dachte ich, dass ich ihn nicht kenne, aber weit gefehlt: Ich war schon einmal hier, abends im Winter 2016/17, zum faszinierenden Christmas-Garden-Spektakel, kurz vor dem Tod meines Vaters. Im Dunkeln und Winter, bei Regen und magisch beleuchtet – da wirkt solch ein Garten gar nicht wie ein botanischer, es könnte auch jeder x-beliebige andere Park mit Mauer drumrum sein.
Nun aber scheint die Sonne, und es ist für September sehr warm, so warm, dass ich mich in einer stillen Ecke meiner Leggins entledige und sofort Durst bekomme. Zum Glück gibt es im SB-Café vor den Gewächshäusern Fritz-Bio-Apfelsaftschorle ohne Ascorbinsäure, sodass ich gestärkt in die Glashaus-Tropen eintauchen kann. Die berühmte Victoria-Seerose blüht gerade nicht, dafür sehe ich dort etwas, was auf meiner Liste der Glücksbringer bisher fehlt, weil es mir so fremd ist: Ein Bächlein plus Teich, in den die Leute Münzen geworfen haben. Wie nennt sich das: Glücksteich?
Wenn er ein Brunnen wäre, würde er Wunschbrunnen heißen und ließe für jede hineingeworfene Münze einen Wunsch in Erfüllung gehen. Hintergrund ist der (unbewusste) Glaube, dass im Wasser göttliche Wesen leben. Bei uns in der Stuttgarter Wilhelma trieben es die Leute eine Zeitlang damit besonders arg und warfen die Münzen auf Seelöwen und Krokodile – welche sie fraßen und daraufhin starben. Zugegeben, Nilkrokodile wurden im Alten Ägypten als göttlich verehrt. Der “Große Weiße” wurde deshalb jedoch nur vierzig Jahre alt, statt der hundert Jahre, die ein Leistenkrokodil aus Südostasien erreichen kann. 140 durch Verdauungsprozesse teils rasiermesserscharfe Münzen wurden in seinem Magen gefunden. Ob die Leute inzwischen weiser geworden sind?
Im Berliner Glücksteich schwimmen jedenfalls keine Tiere, dafür an anderer Stelle Kois, starke und ausdauernde Fische, die nach der Legende in glücksbringen Drachen verwandelt werden, wenn sie den Fluss Huang-Ho über die Wasserfälle und das Drachentor hinweg bis zur Quelle hinauf geschwommen sind. Dies wird den Berliner Examplaren wohl leider kaum gelingen. Einer ist besonders schön, fast ganz weiß und mit schleierähnlichen Flossen.
Insgesamt aber gefällt es mir draußen besser, es gibt einen großen, schönen Heilpflanzenbereich, ein Arboretum mit mit einer süßen Maus mit schwarzem Strich auf dem Rücken und schließlich einen Rosengarten, in den ich mich setze und ein bisschen schreibe, während auf der Wiese hinter mir ein junger Mann Blockflöte spielt.
Abends entscheide ich mich gegen das Programmkino um die Ecke, esse zu Hause die Reste vom Freitag, packe und schaue fern. In Phoenix begegnen mir plötzlich Spitzbergen und die Noorderlicht, ein über hundert Jahre altes Segelschiff, auf dem ich vor rund zwanzig Jahren einen Sommerurlaub verbracht habe. Nun ist es Winter, und Mejke aus Holland, die immer noch dort arbeitet, hat das Schiff im Eis festfrieren lassen und bietet den Einheimischen Kaffee und Kuchen an… Wie eigentümlich, das alles nach so vielen Jahren wiederzusehen…