Rømø: Kiefernwälder und breite Strände (DK)

Blick durch Kiefern auf die Ostseite des Watts


Als wir auf dem Damm zur Insel Røm fahren, herrscht gerade Ebbe. 9,2 Kilometer lang rollen wir über das zweispurig asphaltierte Watt unserem Ziel entgegen. Es ist der bisher heißeste Tag des Jahres, mitten in den hiesigen Sommerferien. Aber hier, auf der südlichsten Nordseeinsel Dänemarks, werden lediglich angenehme 24 Grad im Schatten gemessen. Nur ein ganz zartes, kaum wahrnehmbares Lüftchen weht über das UNESCO-Welterbe Wattenmeer. Entsprechend groß ist der Andrang zum Hauptstrand, in der Verlängerung des Dammes, einfach immer geradeaus. Ein langer Stau zeichnet sich ab.

Der süden rømøs

Und so machen wir spontan kehrt und fahren gen Süden zum Sønderstrand. Wir vier Frauen haben uns beim Dänischlernen in Aabenraa kennengelernt. Ich war bisher erst einmal, vor zwei Jahren, auf Rømø. Aber meine Sprachschul-Kameradinnen kennen sich aus und erzählen, wie still und romantisch es hier vor zwanzig Jahren noch war, und welch schöne Ferien sie unter anderem mit ihren Pferden auf der Insel verbracht haben. Heute ist alles touristisch, und viele der Neubauten gehören leider zur hässlichen Sorte. Aber ich liebe die Heidelandschaft und die Kiefernwälder, die hier “Plantagen”, also angepflanzt sind: Kirkeby Plantage mit der sehenswerten, beschaulichen Inselkirche aus dem 13. Jahrhundert, und weiter im Süden die Vraaby Plantage.

Wie wir es uns erhofft hatten, ist der Sønderstrand weniger überlaufen. Auf Rømø fährt man mit dem Auto auf den Strand, denn er ist bis zu vier Kilometer breit. Für mich der breiteste, den ich je gesehen habe. Das birgt die Gefahr in sich, im Sand steckenzubleiben oder aber, wenn man sich bei Ebbe zu weit vorgewagt hat, von der Flut eingeschlossen zu werden. Jedoch haben wir Halbmond, somit Nipptide und parken im sicheren Abstand von der Wasserkante im Schatten eines Campingbusses.

Dann nehmen wir unsere Rucksäcke und Taschen und laufen die letzten tausend Meter über Sand, Sand und Sand hin zum Wasser. Während zwei von uns nur bis zu den Knien hinein wollen, gehen ich und die Fahrerin tiefer hinein. Für mich ist es das erste Mal Schwimmen in diesem Jahr. Und das Wasser so ruhig, dass ich mich sogar als Tote Frau auf den Rücken legen kann. Herrlich!

Anschließend waten wir am Meeressaum entlang. Drei Kilometer weiter südlich kann man die Nordspitze Sylts sehen, und die roten Fähren, die zwischen dort und Rømø verkehren. Wir entdecken tote blaue Nesselquallen und Strandkrabben-Gehäuse. Hier gibt es Herz-, Sandklaff-, Mies- und leider auch Amerikanische Schwertmuscheln zu Hauf, dazu viele Austern. Wir sind glücklich. Aber die Flut kommt schnell. Aus den Gängen der Wattwürmer gluckert die Luft nach oben. Überrascht stellen wir fest, wie spät es schon ist.

Das Polizeigebäude von Rømø

romantik pur: cafe hattesgaard
Hattesgaard

Auf dem Rückweg halten wir an einem baumumstandenen, nostalgischen Reetdach-Haus aus dem Jahre 1914. Hier gibt es ein großes Café, Antik und Trödel. Leider sind wir zu spät dran, und es wird gerade geschlossen. Doch auch von außen finden wir sie in diesem Moment mit aller Macht: die dänische Hygge.

 

Anschriften:
* Sct. Clemens Kirke, Havnebyvej 152, 6792 Rømø,  https://www.sctclemensromo.dk/ (mit Konzerten und Führungen)
* Hattesgaard Rømø, Café – Antik & Genbrug, Hattesvej 17, 6792 Rømø,  https://www.hattesgaard.dk/

 

 

Sommerfest in Haithabu (Busdorf, D)

Haithabu: Reetdachhäuser

Ich stelle mir vor, ich lebe im frühen 9. Jahrhundert, vor der Christianisierung, in Haithabu. Meine Stadt gehört heute zum UNESCO-Welterbe, aber das weiß ich natürlich nicht. Sie ist ein wichtiger Handelsplatz, denn bis Haithabu fahren die Schiffer von der Ostsee. Hier laden sie ihre Waren auf Karren um und transportieren sie am Danewerk entlang bis zur Treene. Von dort aus gibt es dann wieder Schiffe bis zur Nordsee.

Haithabu: Landungssteg mit Boot aus der Wikingerzeit

Ich bin früh aufgewacht, alle schlafen noch – auch mein Mann, der Schmied Bertram, benannt nach den beiden Raben Odins. Auf dem Steg genieße ich die Aussicht über die hier sehr breite Schlei, traumhaft schön! Aber es stinkt, denn wir werfen unsere Schlacht- und auch viele andere Abfälle hinein. Die Rauchschwalben fliegen tief, später wird es regnen.

Flussaufwärts sammle ich in einem Weidenkorb Mädesüß, Dost und Königskerze, denn ich bin die Heilerin der Stadt. Aus einer Quelle schöpfe ich Wasser in meinen Bottich.

Dann kehre ich zurück in unser dunkles, reetgedecktes Haus. Das einzige Licht fällt von oben herein, durch den Rauchabzug direkt über der Feuerstelle. Ich entfache das Feuer und hänge einen Eisentopf darüber (Bertram hat ihn geschmiedet!). Dann schütte ich das Quellwasser und Gerstengrütze hinein, dazu etwas kostbares Salz. Während die Grütze langsam gart, gehe ich wieder hinaus und hänge die Heilpflanzen an geflochtenen Bastfäden zum Trocknen unter das Dach.

Mein Mann, der nicht-wikinger

Ich liebe meinen Mann, denn er ist als Jüngling nie auf “Wiking”, also auf Raubzug, gefahren. Die anderen belächeln ihn zwar deshalb, aber als Schmied fürchten sie ihn auch, denn obwohl er nie Schwerter, sondern nur Beile, Messer und Speerspitzen zum Jagen fertigt, steht er doch mit dem Odin, dem Gott der Zauberer, im Bunde.

sommerfest in haithabu

Die Schwerter, die ein Händler gestern aus dem Rheinland weit im Süden mitgebracht hat, sind von ausgezeichneter Qualität und deshalb von den jungen Männern heiß begehrt. Zu Ehren des Händlers haben wir gestern ein großes Sommerfest gefeiert. Der Met floss in Strömen, ein Schaf wurde geschlachtet. Dort drüben ist seine Haut aufgespannt. Ich habe auf meiner Knochenflöte gespielt, wir haben gesungen und getanzt. Ein schönes Fest!

Jetzt schlafen noch viele ihren Rausch aus, aber am Nachmittag werden sie gewiss Schaukämpfe mit ihren neuen Schwertern veranstalten. Dann werde ich in den Wald gehen und Engelwurz suchen. Und mein Mann wird aus seiner Schmiede nicht hervorkommen, denn unser Nachbar braucht viele Nägel, um eine Truhe damit zu beschlagen.

und heute?

Auch heute gibt es noch viele Feste und Veranstaltungen in Haithabu – also nichts wie hin zu diesem Glücksort! Die nächsten sind:

  • Sommermarkt in Haithabu, 14.-17.7.2022. Handel und Handwerk wie vor 1000 Jahren.
  • Tuche für Pumphose und Tunika, 18.7.-11.8.2022. Die Tuchhändlerin zeigt ihr Sortiment.
  • Der Taschenmacher ist in der Stadt, 18.-19.7.2022
  • Vom Korn zum Brot, 18.7.2022. Mahlen, kneten, backen.

Anschrift:
Wikinger Museum Haithabu, Haddebyer Chaussee B76, 24866 Busdorf (bei Schleswig), https://haithabu.de/

 

Glücksort Schloss Gottorf (Schleswig, D)

Barocke Südfassade des Schlosses Gottorf
Barocke Südfassade des Schlosses Gottorf

Nie hätte ich mir träumen lassen, dass es in einer Kleinstadt wie Schleswig solch ein riesiges Schloss gibt. Hier residierten lange nach den Wikingern einst Herzöge und Könige. Nun ist Gottorf eine Museumsinsel für’s Glück, deren Größe jedoch erahnen lässt, wieviel Schweiß und Blut dieser Bau die Untertanen gekostet hat. 

Das Wort Museumsinsel lässt mich natürlich an die Berliner Museumsinsel denken. Aber wenn es dort um internationale Kunst und Kultur geht, so hier eher um norddeutsch-dänische.

Wir betreten das Gelände von der Ostseite her über eine romantische weiße Holzbrücke und konzentrieren uns – die Zeit ist knapp und meine Freundin nicht gut zu Fuß – auf die Jugendstilsammlung im ersten Stock des Südflügels sowie die Galerie der Klassischen Moderne in einem der Nebengebäude. Einige Skulpturen gibt es im Außengelände gratis mit dazu.

Karl Hartung: Stehende Figur 1956/57

Und so sehe ich nun zum ersten Mal in meinem Leben Werke der in Dänemark sehr berühmten Skagen-Maler Anna und Michael Ancher live – sie waren sogar schon Thema in der Sprachschule. Dazu einige kolonialistisch-nationalsozialistischer Künstler, aber auch viele, die damals als entartet diffamiert wurden: Ernst Ludwig Kirchner gefällt mir, auch Max Pechstein (besonders das Bild “Der Tanz” aus dem Jahre 1912), Max Beckmann oder Oskar Kokoschka. Am meisten aber beeindrucken mich die Schwarz-Weiß-Blätter von Käthe Kollwitz zum Thema Bauernkrieg (wie z. B. “Die Gefangenen”) und ihre Selbstportraits. Meine Freundin hingegen liebt vor allem den fliegenden Engel Barlachs (“Der Schwebende”).

Wie viel werden wir an diesem Vormittag von dem unendlich großen Gelände gesehen haben? Ein Zwanzigstel? Wir kommen wieder!

Mittagstisch

Aber es ist Mittagszeit, und so besuchen wir das indische Restaurant Puri Puri, das fußläufig zu erreichen ist – mit einem großen Angebot an veganen und vegetarischen Gerichten in guter Qualität. Ich entscheide mich für frische Okraschoten mit Basmatireis, Papadam, indisches Kingfisher Bier und Tee aus frischer Pfefferminze – lecker.

Unterwegs nach Kappeln

Zurück fahren wir einen Umweg über das klitzekleine, direkt an der Schlei gelegene Dorf Goltoft. Sehr empfehlenswert zum Urlauben, denn hier gibt es einen Bioladen, Bio-Ferienunterkünfte, einen Kanuverleih und eine Handweberei mit großem weißem Hund.

Schließlich landen wir am Hafen von Kappeln und schauen im Cameo beim Genuss von Bio-Tee (Roibusch-Vanille) von Strandkörben aus dem Öffnen und Schließen der klappbaren Schleibrücke zu, bevor es zurück nach Dänemark geht.

Ein schöner Ausflug, der glücklich macht!


Anschriften:

* Museumsinsel Schloss Gottorf, Schlossinsel 1, 24837 Schleswig, https://schloss-gottorf.de/de/startseite
* Indisches Restaurant Puri Puri, Lollfuß 96c, 24837 Schleswig, https://www.puripuri-schleswig.de/
* Bio-Hofladen und Bio-Ferienunterkünfte in Goltoft: Leah’s Snoopkram, Dorfstr. 10, 24864 Goltoft, https://www.leahs-snoopkram.de/ (von der Hauptstraße aus immer den zartrosa Schildern folgen)
* Handweberei Goltoft, Kathrin Schoppmeier, Webermeisterin, Teichstr. 1, 24864 Goltoft, https://www.ostseefjordschlei.de/poi/handweberei-goltoft (mit schönem Wollvorhang in Regenbogenfarben vor dem Eingang)
* Restaurant Cameo, Am Hafen 5, 24376 Kappeln, https://www.cameo-kappeln.de/

 

 

 

Pole Poppenspäler Museum und Künstlercafé (Husum, D)

 

Frau Holle und der böse Frost

Die ehemals graue Theodor-Storm-Stadt im Norden Deutschlands hat sich für uns Neudänen in eine bunte Stadt im Süden verwandelt. Auch jenseits der Pfade des Schimmelreiter-Autors lässt sich hier viel Magisches und Unkonventionelles entdecken, zumal an einem freundlichen Juli-Sonntag.

Kurz vor Mittag kommen wir mit dem 150er Bus vom Flensburger ZOB aus in Husum an und brauchen zunächst einmal eine Stärkung. Die finden wir im Künstlercafé, mit schönem Innenhof, freundlichem Personal, französischem Flair, viel veganem Essen und noch mehr Bio-Getränken. Kunst: Das ist hier nicht irgend ein Bild an der Wand – sondern die Backkunst einer Patisserie. Auch wenn wir uhrzeitbedingt keinen Kuchen probieren – er sieht verlockend aus und klingt auch so: Mango-Kokos-Tarte, Persische Datteltarte, Zar Nicolai, Partisanen Torte und viele andere verführen zum Schlemmen. Ich entscheide mich für den veganen “Flammkuchen Paris” plus französischen Rotwein. Und weiß schon jetzt: Wir kommen wieder!

Anschließend geht es in das Renaissance-Schloss “vor” (mittlerweile in) Husum, mit einer äußerst netten, sympathischen Empfangsdame ostdeutscher Provenienz, vor dem im Frühjahr Millionen magisch-violetter Krokusse blühen – bestimmt einen Ausflug wert (auch wenn eine meiner dänischen Freundinnen sich beschwert hat, der das viele Lila zu monochrom ist). Uns aber lockt die fantastische Welt des Pole Poppenspäler Museums im Schloss, zur Zeit (bis Januar 2023) mit der Ausstellung “Das Kaspertheater”.

Hier eine gruselige Variante des Spaßmachers als “Werner Brösel”

Das Kaschperletheater gehört zum immateriellen Welterbe der UNESCO, und hier im Museum sind die Mitwirkenden versammelt, Kasper, Punch und Pulcinella, aber auch ihre Gegenspieler. Vielleicht ist es den beschränkten Räumlichkeiten geschuldet, dass man leider über den Hohensteiner Kasper im Nationalsozialismus nur wenig erfährt. Aber Kasper war – ähnlich wie Till Eulenspiegel – mit seinem derben Humor schon immer ein Überlebenskünstler, und so schlägt er auch heute noch, tritratralla, der Kasper, der ist wieder da, mit seiner Pritsche auf das Böse ein, Ende gut, alles gut. Wenn er nicht selbst gerade der Böse ist, siehe Nazizeit! Die Ausstellung gefällt uns sehr, zumal wir seit dem Wegzug aus Stuttgart mit seinem FITZ und Frau Brehmes Puppentheater Figuren-Entzugserscheinungen haben. Deshalb kaufen wir auch gleich noch ein Poster für’s Wohnzimmer und nehmen zwei alte Figurenspiel-Zeitschriften mit.

Im Herbst finden hier wieder (so Corona will vom 15.-25.9.2022) die Pole Poppenspäler Tage statt, und wer mehr über das Metier des Puppenspielers wissen möchte, dem sei Storms gleichnamige Novelle empfohlen (https://www.buch7.de/produkt/pole-poppenspaeler-theodor-storm/1039018062?ean=9783150140031) oder aber La double vie de Véronique (Die zwei Leben der Veronika, https://www.buch7.de/produkt/la-double-vie-de-veronique-krzysztofpreisner-o/1024789562?ean=5060421560403), ein wahrhaft magischer französisch-polnischer Film.

Es gäbe in Husum noch eine weitere spannende Lokalität zu besuchen, das Weihnachtshaus im gründerzeitlichen Ambiente, aber dazu langt unsere Zeit diesmal leider nicht – wir kommen wieder!

Anschriften:
* Künstlercafé, Neustadt 13, 25813 Husum, http://www.künstlercafehusum.de
* Pole Poppenspäler Museum im Schloss vor Husum, König-Friedrich V.-Allee, 25813 Husum, https://www.pole-poppenspaeler.de/
* Weihnachtshaus Ingwert Paulsen jr. e.K., Nordbahnhofstr. 2, 25813 Husum,  https://das.weihnachtshaus.info/

Glücksort Charlottenhof – Kultur im historischen Ambiente (Klanxbüll, D)

12. Mai 2022: Dort, wo der Hindenburgdamm die Insel Sylt mit dem Festland verbindet, liegt landeinwärts an der Grenze zu Dänemark das Dörfchen Klanxbüll. Es ist ein alter Ort, 1231 zum ersten Mal erwähnt, der nur einen Meter über dem Meeresspiegel liegt, sodass hier ohne Eindeichungen keine Besiedlung möglich gewesen wäre. Fruchtbares Marschland gibt es hier, gelb leuchtende Rapsfelder, aber auch Reet für die Dächer der Dorfkirche und des Charlottenhofs.

Dieser Vierseithof stammt aus dem Jahre 1688, hat ein unter Denkmalschutz stehendes Holzständerwerk und ist durch und durch romantisch. Jahrhundertelang ein landwirtschaftlicher Betrieb, wurde er 1998 der Gemeinde geschenkt und zu einem Kultur- und Tagungshaus mit zwei stilvollen Ferienwohnungen umgebaut. Sogar ein Freiwilliges Soziales Jahr kann hier gemacht werden. Oder geheiratet.

Wir aber sind zum 18. faolBALTICA-Festival gekommen: Jedes Jahr im Mai präsentieren sich in Gesamt Schleswig-Holstein und Südjütland an unzähligen Veranstaltungsorten regionale und manchmal auch international bekannte Folk-Künstler mit ihren Werken. Wir lauschen drei jungen Streicherinnen aus Dänemark, die sich 2015 zum Trio Vesselil zusammengefunden haben und uns im schilfrohrgeschützten, einmaligen Ambiente der historischen Scheune mit Cello, Violine, Viola verzaubern.

So macht Kultur Spaß! Nach einem gelungenen Konzertabend und dem Erwerb einer CD fahren wir im Mondenschein quer durch Nordfriesland nach Hause und kommen bestimmt wieder.

Trio Vesselil: www.vesselil.dk 
folkBALTICA: https://www.folkbaltica.de/
Charlottenhof, Osterklanxbüll 4, 25924 Klanxbüll, https://dercharlottenhof.de/

Breite Straße zur Kirschblütenzeit (Bonn, D)

 Ostersamstag 2022: Meine Freundin hat heute einen wichtigen Familientermin – aber sie hat auch einen Tipp für uns – die Kirschblüte in der Bonner Altstadt soll sehenswert sein.

Und da das Wetter schön ist, suchen meine Tochter und ich nach dem notwendigen Einkaufen und dem Imbissen im Biomarkt Denn’s besagte “Altstadt” – nicht identisch mit der Fußgängerzone – und finden sie schließlich. Sie ist…. ein Traum!

Die rund 450 Meter lange Breite Straße ist an diesem Samstag getaucht in ein Meer rosafarbener japanischer Zierkirschblüten. Gesperrt für Autos, flanieren hier hunderte Menschen und wollen und können aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen. Die Ende der 1980er Jahre gepflanzten Bäume sind bereits so hoch gewachsen, dass sie einen Baldachin über der Straße bilden und frau wie durch einen rosa Blütentunnel läuft. Eigentlich sollte jederzeit eine Elfe irgendwo hervorlugen.

Gesäumt ist die Straße von vielen klassizistischen, schön renovierten Wohnäusern und jeder Menge kleiner, großenteils interessant-alternativer Geschäfte, Cafés und Kneipen, z.B. dem linken Buchladenkollektiv “Le Sabot”, dem “Jaz Boutique*Café*Art”, der “DLS Vollkorn-Mühlenbäckerei” oder dem Second-Hand-Shop “Kunterbunt”, um nur einige wenige zu nennen.

Es gibt noch andere Bonner Altstadtstraßen, in denen die Kirschblüte bewundert werden kann, aber mein Kind war müde, und so haben wir nicht weitergesucht.

Mein Urteil: Macht mehr als glücklich und ist unbedingt empfehlenswert!

Es gibt sogar eine Webseite zum Thema, die in jedem Jahr Preise für das beste Kirschblütenfoto auslobt: http://www.kirschbluete-bonn.de/.
Und hier noch die Webseite der Stadt Bonn mit allen Details: https://www.bonn.de/bonn-erleben/besichtigen-entdecken/kirschbluete.php

Glücksort Arp Museum Rolandseck (Remagen, D)

Der Rhein mit Rolandsbogen und Nonnenwerth

Karfreitag 2022: Nach dem Frühstück fahren wir von Bonn aus zum klassizistischen ehemaligen Bahnhof Rolandseck, direkt am Rhein gelegen. Bei strahlendem Sonnenschein genießen wir erst einmal am Ufer die Aussicht auf den Rolandsbogen einer im 15. Jh. zerstörten Burg und die Insel Nonnenwerth mit ihrem Franziskanerinnen-Kloster, das bis vor kurzem ein Mädchengymnasium beherbergte. Nonnenwerth war während der englischen Rheinromantik-Welle der 1830er Jahre ein sehr beliebtes Reiseziel. Ein Glücksort, den ich bisher erst von der Ferne kenne…

Dann besuchen wir, nicht zum ersten Mal, das traumhafte Arp Museum, dem Dadaisten Jean Arp und seiner Frau und Mit-Dadaistin Sophie Taeuber-Arp gewidmet. Ich liebe Dada, es ist lustig, anarchistisch, verspielt und drückt für mich am besten die 1920er Jahre aus. Auch unser dänisches Haus (1927) stammt aus jener Zeit, obwohl die Erbauer wohl eher konservativ waren.

Noch bis zum 4. September 2022 gibt es im Altbau eine mittelinteressante Paula Moderssohn-Becker Ausstellung zu bestaunen. Zwischen Alt- und Neubau schauen wir durch Panoramafenster in die Natur und auf einen kleinen roten Drachen:

Jonathan Meese: Doc Flashflesh – Feuerrotes Erzdrachenbaby (Süssesüssesüsses de Baby), 2008, Bronze

Ist er nicht ein hinreißendes Kind? Weiter geht es durch eine Höhle, beleuchtet von einer langen, weißneonen Spirale, Kaa, die Schlange aus dem Dschungelbuch, geschaffen von Barbara Trautmann.  Vom Ende des Tunnels ertönt eine seltsam-geheimnisvolle, monotone Melodie.

Im ersten Stock übt gerade eine große Gruppe von Menschen Bewegungen zu minimalistischer Metallkunst, Pfeile, die in alle Richtungen zeigen. Der jüngste Teilnehmer ist vielleicht sieben, die älteste Dame bestimmt achtzig Jahre alt. Eine wirklich spannende Art, Museum zu erfahren.

Im zweiten Stock dann Dada, mit dem ich zum ersten Mal kurz vor Corona 2020 in Zürich in Kontakt gekommen bin, das Lallen des Babys, wobei mir die runden Formen lieber sind als die eckigen.

Dada ne signifie rien – Dada bedeutet nichts

Zurück im Altbau wird es Zeit für eine Kunstpause im Restaurant “interieur no. 253”, wobei das Restaurant selbst ebenfalls ein Kunstwerk ist, gestaltet von Anton Henning, und 2019 ausgezeichnet vom Gault&Millau sowie 2021 vom Falstaff Barguide und vom Varta-Führer. Hier freuen wir uns über vegane gelbe Linsenbratlinge mit Gemüsesugo und Basilikumespuma, guten Wein, Kuchen und vieles mehr. Zum Abschluss darf ein Toilettenbesuch hier auf keinen Fall fehlen, denn dieser Ort ist ebenfalls Kunst, gestaltet vom Briten Stephen McKenna. Magie pur!

Stephen McKenna: Toilette im Arp Museum

Anschrift:
Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Hans-Arp-Allee 1, 53424 Remagen, https://arpmuseum.org/. Museum geöffnet Di-So 11-18 Uhr, Restaurant Interieur No. 253 Di-Sa 11-24 Uhr, So 10-24 Uhr (https://www.interieur-no253.de/)

 

Was sollen wir mit all der Schönheit?

Israelitischer Teil des alten Hoppenlau-Friedhofs im Spät-Spätherbst


Zufällig am letzten Tag bevor bei uns im Ländle von jetzt auf eben verschärfte Anti-Corona-Regeln in Kraft traten, besuchte ich den denkmalgeschützten Hoppenlau-Friedhof in der Stuttgarter Innenstadt und das Literaturhaus – eine meiner Freundinnen hatte sich das kleine, feine “Lexikon der Schönheit” gewünscht, welches es fast nur dort, dafür aber in vielen Farben zu kaufen gibt.

Los ging’s an der Liederhalle, dank der Mosaiken eines der schönsten modernen Gebäude in Stuttgart, dann entdeckte ich den israelitischen Teil des Friedhofs, und schließlich auch die Gräber des Dichter-Revolutionärs Christian Friedrich Schubart (1737-91), sehr verwittert, und recht in der Nähe das gut gepflegte Grab Wilhelm Hauffs (1802-27), Reproduzent antijüdischer Klischees, aber gleichzeitig Verfasser von Märchen wie “Kalif Storch”, “Zwerg Nase”, “Das kalte Herz” oder von Geschichten wie “Das Wirtshaus im Spessart”. Ihn kannte ich schon als kleines Kind, denn von seinen orientalisierenden Märchen hatten wir Diashow-Erzählungen, untermalt von russischer Ballettmusik…. Daaa-da-da-da-da-daaa-da-daaa.

Und dann das Literaturhaus, davor eine Outdoor-Plakat-Comic-Ausstellung, und darin eine Show von Kleinverlagen. Mit dabei ein Herbstgedicht des Dänen Rasmus Nikolajsen, das den Titel für diesen Beitrag hier liefert. Wohin sollen wir denn mit all der Schönheit, beim Betrachten der gelben, roten und braunen Blätter im Park, der Schwäne, die ihren Hals recken und mit den Flügeln schlagen, wenn wir sehen, das gleichzeitig Menschen in diesem Park schlafen, weil sie kein Bett haben, was sollen wir mit all den Blättern und Büchern? Was sollen wir mit all den Wolken, die nichts vermögen, wenn ein Freund aus dem Fenster springt und zu Boden fällt wie eine Schneeflocke, wie ein Blatt, und man sich nach dem Begräbnis betrinken muss und sich verwandeln muss in etwas anderes, in einen Jüngeren? Wie lassen wir wie der Baum seine Blätter die Geschichten los, die Geschichten von Gestaltwandlern, die sowohl Mensch als auch Tier sein können, heute ein grünes Blatt weit oben, morgen ein gelbes am Boden? Wir betrachten das Fallen der Blätter wie einen mittelalterlichen Totentanz und üben, sagt Rasmus, die Schritte unseres eigenen Todes und all das, was wir nicht erzwingen können und was die Zeit herbeiführen wird. Ein Gedicht, geschrieben, während die Blätter von den Bäumen fallen…

Für mich der schönste Tag seit langem und coronabedingt vielleicht für lange – abgesehen davon, dass drei Tage später mein Mann aus Dänemark zu Besuch gekommen ist. Das ist das allerschönste.

Anschriften:

Hoppenlaufriedhof, Rosenbergstr. 7, 70174 Stuttgart

Literaturhaus, Breitscheidstr. 4, 70174 Stuttgart, www.literaturhaus-stuttgart.de

Rasmus Nikolajsen, was sollen wir mit all der schönheit? Herbstgedicht, aus dem Dänischen von Sarah Fengler, 12 Euro, erschienen bei parasitenpresse, Knithaki, Richard-Wagner-Str. 18, 50674 Köln, im Februar 2020, www.parasitenpresse.de

Der Garten der schönen Melodie – Qing Yin –

Eingang in den Stuttgarter Chinesischen Garten

Wie ein Tor in eine andere Welt: Das ist der Eingang zum kleinen, verborgen in Stuttgarter Halbhöhenlage erbauten Nationengarten, direkt neben Weinbergen, umbraust vom Verkehr. Geschaffen wurde er von Gartenbaumeistern aus Baden-Württembergs chinesischen Partnerprovinz Jiang Su zur IGA 1997 – und mutet an wie eine Oase der Stille aus längst vergangenen Zeiten.

Er ist ein Mikrokosmos, in dem bizarre Steine Gebirge und Teiche Meere darstellen, in dem die vier Jahreszeiten, Leben und Tod, hart und weich, dunkel und hell als Gegensätze vereint zu einem Ganzen erfahrbar sind. Sein Name stammt aus einem alten Gedicht der Tang-Dynastie (618-907 u.Z.), nach dem nicht nur Flöte und Laute, sondern auch Berg und Wasser eine schöne Melodie ergeben – Poesie übersetzt in Architektur und Kalligraphie. Gedichtauszüge zum Nachfühlen verkörpert er: Berge und Wasser sind so freundlich. Halle der Freundschaft (um dort Tee zu trinken, wenn sie geöffnet ist):

Halle der Freundschaft

Drachen. Stehende Wolken. Zehntausend Kiefern in der Jahreszeit, immergrün (ich liebe Kiefern). Ein schmaler Bach fällt in einen tiefen Teich. Pavillon der vier Seiten und acht Himmelsrichtungen.

Dieser Garten soll die Unsterblichen herein locken, damit wir Menschen an ihrer Unsterblichkeit teilhaben können. Es waren ihrer acht, sieben Männer und eine Frau, die allen Menschen in Not beistehen und gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung kämpfen. Diese Ba Xian verkörpern die acht grundlegenden Lebensbedingungen: Jugend, Alter, Armut, Reichtum, Adel, Volk, Weibliches und Männliches. Der eine ist Schutzheiliger der Barbiere, der nächste der Kranken, einer ist zuständig für das Militär, der andere für Musiker (er trägt die Flöte der sechs heilenden Melodien), noch einer für Schauspieler und einer für alte Leute.

Interessant sind Lan Cai He und He Xian Gu. Ersterer ist androgyn, ein schamanischer Transvestit und heiliger Narr. Lan Cai He kann sowohl Junge oder Frau sein, verkörpert die Ausgestoßenen und Verrückten und schützt die Blumenhändler.
Letztere ist auf jeden Fall weiblich, eine Frau mit Lotosblüte oder Blumenkorb und dem Pfirsich der Langlebigkeit sowie einer Mundorgel in den Armen. Sie erreichte Unsterblichkeit wegen ihrer Freigebigkeit und strengen Askese – und statt um das Jahr 700 u.Z. herum der Kaiserin zu gehorchen, stieg sie lieber in den Himmel auf. Vielleicht begegnest du ihr im Pavillon der acht Himmelsrichtungen?

Adresse: 70174 Stuttgart, Ecke Birkenwald-/Panoramastraße, erreichbar mit dem 44er Bus ab U-Bahn Stadtbibliothek/Türlenstraße Richtung Killesberg, geöffnet täglich ab 8 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.

 

Kære grænse – meine liebe Grenze

Gendarmestien bei Kollund – auf der anderen Seite des Fjords: Deutschland

Von neoliberal bis sozialistische Internationale: Niemand mag Grenzen. Zumindest nicht die Grenzen der anderen. Sie sind zum Beispiel wirklich unpraktisch und stören den Handel… Aus der deutschen Kleinstaaterei entstanden also 1871 ein Nationalstaat und nach dem Zweiten Weltkrieg die Bundesrepublik Deutschland. Aber damit nicht genug: Im Rahmen des Schengen-Abkommens fielen 1985 die Schlagbäume, und 2002 ersetzten viele EU-Mitgliedsstaaten ihre nationalen Währungen durch den Euro.

Nun, zumindest beim Euro haben die Dänen nicht mitgespielt – ein Königreich ohne Kronen als Währung, das geht nicht. Dass es aber wirklich auch eine physische Grenze zwischen Dänemark und Deutschland gibt und dass man sie schließen kann, wurde den Anwohnern im Dezember 2019 wieder bewusst, als Dänen den 70km langen Anti-Schweinepest-Wildschweinzaun fertigstellten (teuer, vermutlich nutzlos und für die Umwelt schädlich). Und 2020 wurde es uns allen schmerzlich deutlich: Dänemark machte seine Grenzen im Rahmen der Corona-Pandemie komplett dicht – für die Leute im Grenzgebiet, die unter der Woche gern in Flensburg und sonntags in Padborg einkaufen, eine Katastrophe.

Aber Grenzen sind auch spannend und können glücklich machen. Jede Schamanin, jede Hexe weiß das, denn das Wort Hexe kommt von hagazussa, der Zaunreiterin, die mit dem einem Bein fest in der alltäglichen Wirklichkeit und mit dem anderen in der Anderswelt steht.

Auch ohne Anderswelt inspirieren Grenzen: Was machen die Dänen auf der anderen Seite des Zauns anders und besser als Deutsche, was können wir lernen, über Gelassenheit, hygge bis hin zum Feste feiern und Tanzen und Singen um den Weihnachtsbaum? Nicht umsonst gelten die Dänen als zweitglücklichstes Volk Europas (nach den Finnen).

Ein ganz besonderer GrenzPFAD ist der Gendarmstien. Er startet in unserer zukünftigen Heimat Padborg und führt in fünf Etappen 74 km weit nach Osten bis nach Skovby. Hier patroullierten von 1920 bis 1958 auf der Jagd nach Schmugglern die dänischen Grenzgendarmen entlang der Flensburger Förde – unterbrochen durch die Zeit der Nazis, die alle Gendarmen gefangen nahmen und viele ermordeten. Der Wanderweg ist heute einer der schönsten Dänemarks und einer von nur zweien des Landes, der das Prädikat “Leading Quality Trails – Best of Europe” (www.era-ewv-ferp.com) erhalten hat.

Wie traumhaft der Gendarmstien ist, konnten wir dieses Jahr im August live erleben, als wir an meinem Geburtstag ein kleines Stück der ersten Etappe im Kollund Skov liefen, durch hügeligen Küstenwald mit steilen Abhängen und tiefen Schluchten – siehe Foto. Aber auch ansonsten kreuzten wir in diesem Urlaub häufig den berühmten Wanderweg, selbst ganz in der Nähe unserer Ferienwohnung in Kollund Østerskov führte er vorbei. Eben ein sehr “ausgedehnter Glücksort”, wie das Buch “Glücksorte in und um Flensburg” von Sörensen/Siedhoff zu Recht urteilt, versehen mit einem Dutzend Aussichtspunkten und 42 Sehenswürdigkeiten. Davon sechs in Padborg, mit dabei ein Erdtelefon in Bov, mit dem man grenzüberschreitenden Kontakt aufnehmen kann – das eine Ende ist in Dänemark, das andere in Deutschland. Nicht zuletzt kann mensch während der fünf Etappen viele seltene Tiere und Pflanzen entdecken, vom schillernden Eisvogel über Schwarzspecht, Bergmolch und Gänsesäger bis hin zu Orchideen wie Zweiblatt, Sumpfwurz und Knabenkraut.

Übernachtungsmöglichkeiten gibt es unterwegs viele, einschließlich einfacher, offener Hütten mitten im Wald, die man bei der Kommune mieten kann. Und vielleicht gehört auch bald in Padborg unser neues Haus dazu, unter dem Stichwort “Öko-B&B, vegan und vegetarisch” – damit schon der Start glücklich macht!

Bis bald!